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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve
Autoren: Friedrich Glauser
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mitgenommen...«
    Pater Matthias schwieg. Im kleinen Raum war einzig das Schnarchen des dicken Wirtes zu hören und dazwischen, ganz leise, das Ticken einer Wanduhr...
    Der Weiße Vater nahm die Hand vom Gesicht. Seine Augen waren leicht gerötet, und noch immer gemahnte ihre Farbe an das Meer – aber nun lagen Nebelschwaden über den Wassern und verbargen die Sonne. Der alte Mann, der aussah wie der Schneider Meckmeck, musterte seine Zuhörer.
    Es war ein schwieriges Unterfangen, drei mit allen Wassern gewaschenen Kriminalisten eine Gespenstergeschichte zu erzählen. Sie ließen ein langes Schweigen walten, dann klopfte der eine, Madelin, mit der flachen Hand auf den Tisch. Der Wirt fuhr auf.
    »Vier Gläser!« befahl der Kommissär. Er füllte sie mit Rum, sagte trocken: »Eine kleine Stärkung wird Ihnen guttun, mein Vater.« Und Pater Matthias leerte gehorsam sein Glas. Studer zog ein längliches Lederetui aus der Busentasche, stellte betrübt fest, daß ihm nur noch eine Brissago verblieb, zündete sie umständlich an und gab auch Madelin Feuer, der eine Pfeife gestopft hatte. Mit dieser gab der Kommissär seinem Schweizer Kollegen einen Wink, eine kleine Aufforderung, mit dem fälligen Verhör zu beginnen.
    Studer rückte nun ebenfalls vom Tisch ab, legte die Ellbogen auf die Schenkel, faltete die Hände und begann zu fragen, langsam und bedächtig, während seine Augen gesenkt blieben.
    »Zwei Frauen? Ihr Bruder hat sich wohl nicht der Bigamie schuldig gemacht?«
    »Nein«, sagte Pater Matthias. »Er ließ sich scheiden von der ersten Frau und heiratete dann ihre Schwester Josepha.«
    »So so. Scheiden?« wiederholte Studer. »Ich dachte, das gäbe es nicht in der katholischen Religion.« Er hob die Augen und sah, daß Pater Matthias rot geworden war. Von der sehr hohen Stirne rollte eine Blutwelle über das braungebrannte Gesicht – nachher blieb die Haut merkwürdig grau gefleckt.
    »Ich bin mit achtzehn Jahren zur katholischen Religion übergetreten«, sagte Pater Matthias leise. »Daraufhin wurde ich von meiner Familie verstoßen.«
    »Was war Ihr Bruder?« fragte Studer weiter.
    »Geologe. Er schürfte im Süden von Marokko nach Erzen: Blei, Silber, Kupfer. Für die französische Regierung. Und dann ist er in Fez gestorben.«
    »Sie haben den Totenschein gesehen?«
    »Er ist der zweiten Frau nach Basel geschickt worden. Meine Nichte hat ihn gesehen.«
    »Sie kennen Ihre Nichte?«
    »Ja; sie wohnt in Paris. Sie war hier bei dem Sekretär meines verstorbenen Bruders angestellt.«
    »Nun«, meinte Studer und zog sein Notizbüchlein aus der Tasche – es war ein neues Ringbuch, das stark nach Juchten roch, ein Weihnachtsgeschenk seiner Frau, die sich immer über seine billigen Wachstuchbüchli geärgert hatte. Studer schlug es auf.
    »Geben Sie mir die Adressen Ihrer beiden Schwägerinnen«, bat er höflich.
    »Josepha Cleman-Hornuss, Spalenberg 12, Basel. – Sophie Hornuss, Gerechtigkeitsgasse 44, Bern.« Der Pater sprach ein wenig atemlos.
    »Und Sie meinen wirklich, mein Vater, daß den alten Frauen Gefahr droht?«
    »Ja... wirklich... ich glaube es... bei meiner Seele Seligkeit!« Wieder hätte Studer dem Männlein mit dem Schneiderbart am liebsten gesagt: »Reden Sie weniger geschwollen!« Aber das ging nicht an. Er sagte nur:
    »Ich werde hier in Paris noch Silvester feiern, dann den Nachtzug nehmen und am Neujahrsmorgen in Basel ankommen. Wann fahren Sie in die Schweiz?«
    »Heut'... Heut' nacht!«
    »Dann«, sagte Godofreys Papageienstimme, »dann haben Sie gerade noch Zeit, ein Taxi zu nehmen.«
    »Mein Gott, ja, Sie haben recht... Aber wo...?«
    Kommissär Madelin tauchte ein Stück Zucker in seinen Rum und während er an diesem »Canard« lutschte, rief er dem schnarchenden Beizer ein Wort zu.
    Dieser sprang auf, stürzte zur Tür, steckte zwei Finger zwischen die Zähne. So gellend war der Pfiff, daß sich Pater Matthias die Ohren zuhielt.
    Und dann war der Geschichtenerzähler verschwunden.
    Kommissär Madelin brummte: »Ich möcht' nur eines wissen. Hält uns der Mann für kleine Kinder? – Stüdère, es tut mir leid. Ich dachte, er hätte Wichtigeres zu erzählen. Und dann war er mir empfohlen worden. Er hat Protektionen, hohe Protektionen!... Aber nicht einmal eine Runde hat er bezahlt! Wirklich, er ist ein Kind!«
    »Verzeihung, Chef«, entgegnete Godofrey. »Das stimmt nicht. Kinder stehen mit den Engeln auf du und du. Aber unser Pater duzt die Engel nicht...«
    »Hä?« Madelin riß die
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