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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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seine Königin hatte Hekabe die Aufsicht über die königlichen Kinder, und es war ihre Pflicht - nein, ihr Vorrecht - zu bestimmen, wie ein Kind erzogen werden sollte, gleichgültig, ob sie es geboren hatte oder eine andere Frau.
    Königin Hekabe war eine hübsche Frau. Sie war groß, hatte breite Schultern und trug das kastanienbraune Haar glatt aus der Stirn gekämmt; die langen Locken fielen nach vorne über die Schulter. Sie ging aufrecht und majestätisch wie die Göttin Hera und war stolz auf das Kind (die Geburt stand dicht bevor), in ihrem vorgewölbten Leib. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Mieder und den gestuften Rock mit leuchtend bunten Streifen - die übliche Kleidung der adligen Frauen von Troia. An ihrem Hals glänzte ein Goldkragen von der Breite ihres Handtellers.
    Als sie durch eine ruhige Gasse am Marktplatz schritt, eilte eine Frau aus dem Volk herbei - sie war klein, dunkel und in grobes, erdfarbenes Leinen gekleidet-, berührte ihren Leib und murmelte, als sei sie über die eigene Kühnheit erschrocken: »Segne mich, o Königin!«
    »Nicht ich bin es«, erwiderte Hekabe, »die dich segnet, sondern die Göttin.« Sie hob die Hände und spürte den Schatten der Göttin wie ein leichtes Prickeln am Scheitelpunkt und sah im Gesicht der Frau den unausbleiblichen Ausdruck von Ehrfurcht und Staunen angesichts der plötzlichen Veränderung.
    »Mögest du unserer Stadt viele Söhne und Töchter gebären. Ich bitte dich, segne auch mich, Tochter«, sagte Hekabe ernst.
    Die Frau blickte zu ihrer Königin auf - oder sah sie nur die Göttin?-und murmelte: »Herrin, möge der Ruhm des Prinzen, den du trägst, sogar den Ruhm von Prinz Hektor übertreffen.«
    »So sei es«, murmelte die Königin und wunderte sich, weshalb sie ein leichter ahnungsvoller Schauer durchrieselte, als habe sich der Segen auf dem Weg von den Lippen der Frau zu ihren Ohren irgendwie in einen Fluch verwandelt.
    Es mußte sich auf ihrem Gesicht gezeigt haben, denn ihre Kammerfrau trat zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Herrin, du bist blaß. Setzen die Wehen ein?«
    Die Königin war so verwirrt, daß sie tatsächlich kurz überlegte, ob dieses eigenartige Frösteln, das ihr den kalten Schweiß auf die Stirn trieb, das erste Anzeichen der Geburt war. Oder hatte der Schatten der Göttin das bewirkt? Sie konnte sich nicht daran erinnern, bei Hektors Geburt etwas Ähnliches empfunden zu haben. Aber damals war sie noch sehr jung und sich der Vorgänge in ihrem Körper kaum bewußt gewesen. »Ich weiß nicht«, sagte sie, »es ist möglich. «
    »Dann mußt du in den Palast zurückkehren, und man muß den König unterrichten«, sagte die Kammerfrau. Hekabe zögerte. Sie wollte nicht so schnell in die Gemächer zurück. Aber wenn die Wehen wirklich eingesetzt hatten, war es ihre Pflicht - nicht nur gegenüber dem Kind und ihrem Gemahl, sondern gegenüber dem König und dem ganzen Volk von Troia, den Prinzen oder die Prinzessin, die sie trug, zu schützen.
    »Nun gut, gehen wir in den Palast zurück«, sagte sie und machte kehrt. Wenn sie sich in der Stadt zeigte, folgte ihr stets eine Schar Frauen und Kinder, die sie um ihren Segen baten - und das gehörte zu den Dingen, die Hekabe unangenehm waren. Seit sie sichtbar schwanger war, baten die Frauen sie um einen Fruchtbarkeitssegen, als könne sie ihnen wie die Göttin Kinder schenken.
    Sie schritt mit ihrer Kammerfrau unter den beiden Löwinnen hindurch, die das Tor zum Palast von Priamos bewachten, und über den riesigen Hof dahinter, wo seine Soldaten sich zum Exerzieren versammelten. Ein Posten am Tor hob grüßend den Speer.
    Hekabe sah den Soldaten zu, die in Gruppen aufgeteilt mit stumpfen Waffen kämpften. Sie verstand von Waffen soviel wie jeder dieser Männer, denn sie war die in der Ebene geborene und aufgewachsene Tochter eines Nomadenstamms, dessen Frauen Pferde ritten und wie die Männer der Städte den Umgang mit Speer und Schwert lernten. Ihre Hand sehnte sich nach einem Schwert. Aber das war in Troia nicht Brauch. Anfangs hatte Priamos ihr zwar erlaubt, Waffen zu führen und mit seinen Soldaten zu üben, aber als sie mit Hektor schwanger ging, hatte er es verboten. Sie erklärte vergeblich, daß die Frauen ihres Stammes bis wenige Tage vor der Geburt ihrer Kinder ritten und kämpften. Er hörte nicht auf sie. Die königlichen Hebammen erklärten ihr, wenn sie eine scharfe Waffe auch nur berühre, füge das dem Kind Schaden zu und möglicherweise auch den Männern, denen
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