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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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Brandtöpfen getroffenen, christlichen Soldaten, die er hatte verbrennen sehen. Der stechende Geruch versengten Fleisches, ihre Schreie, das Zappeln, dann die Zuckungen, das Röcheln, das Schweigen, schließlich die Starre, das alles hatte sich ihm unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt. Die Toten blieben auf der feuchten, dampfenden Erde liegen, die einen über den anderen, wie Holzscheite im Kamin.
    Er musste etwas tun, nicht nur in Erwartung des Endes an der Oberfläche bleiben. Er war nicht zweitausend Meilen gesegelt, hatte Schiffbruch riskiert, Piratenüberfälle abgewehrt und viele Male seine Haut gerettet, bis zu dieser entsetzlichen Explosion, um nun hier zu sterben, wo sein Kopf als Docht brennen würde. Einen Schritt vom Ziel entfernt.
    Eine Lohe verbrühte ihm den Nacken. Mit kräftigen Stößen der Arme und Beine drehte sich der geübte Schwimmer um sich selbst. Weniger als zehn Ellen entfernt hatten sich zwei Inseln aus brennendem Öl zischend und rauchend vereint und strebten nun der Halbinsel aus Feuer zu, die an der nördlichen Mauer des Arsenale begann und die Stelle anzeigte, wo das Öl ausfloss. Wieder fühlte er die Glut im Gesicht. Er atmete mehrmals ein und versank erneut im Wasser und in seinem Zorn. Nachdem er ein paar Faden tief untergetaucht war, begann er zu schwimmen, um sich so weit wie möglich von dem großen Feuer zu entfernen, das ihn verschlingen konnte. In dieser Tiefe war das Wasser eiskalt, und die Reflexe der Flammen über dem Wasser ließen das Licht tanzen wie auf einem von Sonnenstrahlen getroffenen Kristallglas. Das farbige Schauspiel wurde begleitet vom unheimlichen Zischen des Öls auf der Oberfläche, wenn es mit dem Wasser in Berührung kam. Ein Geräusch wie das Rollen der Kiesel am Strand beim Zurückfließen einer großen Welle.
    Der Alte schwamm durch eine Algenbank, die Algen kitzelten sein Gesicht. Er spürte, wie der Zorn sich in Sehnsucht verwandelte. Als er aufblickte, erschien ihm der Wasserspiegel frei vom Feuer, also packte er das Wasser mit beiden Händen und ließ sich nach oben ziehen. Beim Auftauchen war aus der Sehnsucht ein fester Wille zu überleben geworden. Nicht, um weiterhin Tage und Nächte aneinanderzureihen, denn er hatte genug Dinge im Leben gesehen, sondern um die Aufgabe zu Ende zu bringen, die er sich gestellt hatte. Er hatte geschworen, dass er bis zum Äußersten gehen würde. Für die Menschen, die er geliebt hatte. Damit die Macht nicht in die falschen Hände geriet. Also musste er jetzt überlegen, wie er hier herauskommen sollte, aus diesem vom Feuer umringten Meeresauge, das um ihn herum rasch kleiner wurde, wie die Augen eines schläfrigen Kindes.
    Wieder gab es einen Blitz, eine Explosion, das Wachtürmchenvon San Cristoforo öffnete sich zum Himmel wie ein zerfetztes Kanonenrohr und zerbarst in die tausend Teile, aus denen es erbaut war.

4
    Andrea stand geblendet am Fenster und starrte auf das schwarze, von Flammen umrahmte Loch. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel einen glühenden Gegenstand vom Himmel fallen, langsam, wegen der Entfernung, dann immer schneller, je näher er kam und je größer er wurde. Es schien, als stürzte das Ding direkt auf ihn zu. Er dachte an einen Brandtopf, von einem Katapult abgeschossen. Vielleicht war es ein Angriff der Türken. Er trat einen Schritt zurück und kauerte sich in der Zimmerecke zusammen. Die Flamme durchquerte sein Blickfeld und traf mit einem lauten dumpfen Krachen auf dem Boden auf.
    Andrea schaute aus dem Fenster. Der Meteorit war an der Kalksteinmauer des nahen Gartens zerschellt, die versprengten Teile glühten und rauchten noch immer. Um ein Haar hätte er eine Frau und ihre beiden Kinder getroffen, jetzt betrachteten sie fassungslos das Durcheinander. In der Glut erkannte man Holzbalken, die mit Metallplatten verbunden waren, offenbar Teile einer Dachdeckung, die von der Wucht der Explosion in den Himmel geschleudert worden waren. Derart teure Dächer aus Kupfer oder Blei hatten in Venedig nur der Palazzo Ducale, die Kirche San Marco und wenige reiche Häuser am Canal Grande. Andrea zuckte zusammen, und als er in die Richtung des Arsenale spähte, sah er, dass dessen Mauer nicht mehr existierte, dieses Dachstück also nichts anderes sein konnte als die kupferne Fiale eines seiner Wachtürme.
    »Grundgütiger   …«, hörte er sich flüstern, als er das vom Feuer erleuchtete Panorama betrachtete. Die Flammen hatten sich ausgebreitet und die Masten und Segel zweier im
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