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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Autoren: Giuseppe Furno
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verbraucht war. Für Taddea trug er die Hauptschuld.
    »Ich möchte einen Mann an meiner Seite   …«, hatte sie einmal während eines Streits gesagt.
    Und so wälzte er sich in dieser kühlen Septembernacht im Bett, gequält vom Summen einer Mücke und wirren Gedanken, die auf der Suche nach den Bedeutungen des Wortes »Mann« hierhin und dorthin trieben, als die bleigefassten Fensterscheiben sich plötzlich verfärbten und ein blendend heller Lichtscheinin das Zimmer fiel. Andrea öffnete die Augen, unsicher, ob er geträumt hatte, und dachte an ein Spätsommergewitter. Er richtete sich auf, die Arme fest auf die Rosshaarmatratze gestützt.
    Ein leises Klingeln ertönte vom Bord am Kopfende seines Bettes: Der Löffel, mit dem er einen Aufguss aus Weißdorn und Honig umgerührt hatte, zitterte am Rand des Glases. Im nächsten Augenblick wurde die leichte Vibration zu einem Beben des ganzen Zimmers, das mit Macht aus der Tiefe aufstieg. Die Erde bebte. Wie der Boden des Campo San Geremia, wenn die Stiere beim Rennen am Gründonnerstag durchgingen. Doch jetzt wankten auch die in die Erde gerammten Eichenholzpfeiler, das Floß aus Bohlen und die darauf gestützten Mauern, die die Herberge aus dem Wasser hoben. Sofort dachte Andrea an ein Erdbeben und an die Erzählungen seines Vaters. Aber er hatte weder Zeit nachzudenken noch aufzustehen. Der Knall, der jetzt folgte, hatte nichts mit dem rollenden, schlingernden Dröhnen des Donners zu tun. Er war trocken und scharf umrissen, eine tönende Kugel, die alles umhüllte und betäubte. Die beiden Fensterflügel flogen gleichzeitig auf wie durch den Hieb eines wütenden Dämons. Der Rückstoß auf dem Mauerbogen drückte die Scheiben aus der Bleifassung, sie platzten und zersplitterten. Andrea spürte den Hagel aus Glasscherben auf seinem nackten Körper und schloss die Augen, während ein glühendheißer Luftstrom, der nichts von einer Naturkraft hatte, im Zimmer zu toben begann, die Gardinen an die Decke peitschte, die Kleider vom Boden aufwirbelte und die Spiegelkommode mit dem Gestell für das Waschbecken umstürzte. Instinktiv erkannte er, dass er Schutz suchen musste. Mit einem Hüftschwung, den er seiner jugendlichen Kraft verdankte, drehte er sich um sich selbst und ließ sich auf den Boden aus Olivenholz fallen. Er spürte einen starken Schmerz im Knie, rollte jedoch weiter über den Boden unter das Bett. Genau in diesem Moment fiel ein großer Brocken Putz von der Decke. Andrea hörte den Aufprall des Rohrgeflechts, das zerplatzte, und sah einen Teil der schwerenMörtelbrocken in der Matratze versinken, einen anderen auf den Dielen des Fußbodens zerschellen. Ein Deckenbalken löste sich, zusammen mit einer Handvoll Dachziegel. Auch im Kamin an der linken Zimmerwand stürzte etwas herab. Ein Teil des Rauchfangs war heruntergekommen und blies eine schwarze Rauchwolke ins Zimmer. Wie ein Hagelschauer prasselten Gegenstände auf das Dach. Einige fielen durch das Loch, das sich im Dach geöffnet hatte. Andrea sah sie aufprallen und qualmend über den Boden rollen. Es schienen Teile von Ziegelsteinen und Metallsplitter zu sein.

2
    So unmittelbar, wie sie gekommen waren, legten sich der Hagelschauer und das Beben. Der heiße Wind wich einer frischen nächtlichen Brise. Stille trat ein, als wäre dies die Pause zwischen der Ouvertüre und dem ersten Akt. Dann begannen die Schreie. Andrea hörte ihnen reglos zu. Es waren Schreie im Inneren des Hauses, gedämpft und erstickt.
    Sie kamen aus den unteren Stockwerken. Kinder weinten. Eine Frau rief. Er erkannte die Stimme von Lorenzo, dem Besitzer der Locanda della Torre im Castello-Viertel. Andrea hatte ein Zimmer in diesem Wirtshaus am Zusammenfluss des Rio della Tetta mit dem Rio San Lorenzo genommen.
    »Graziosa! Graziosa!«, rief der Mann nach seiner ältesten Tochter.
    Jetzt kamen die Schreie von draußen, aus der calle San Lorenzo. Sie wurden lauter, häufiger. Jemand lief vorüber.
    »Sie sind zu den Sagredo-Häusern gelaufen!«, erklang eine Frauenstimme, den benommenen Zustand der Ungewissheit durchbrechend.
    »Weg, lauft weg von hier, ins Rialto, hier geht alles in die Luft!«, bestätigte ein Mann keuchend.
    Andrea tastete nach seinem Knie und spürte, dass sich etwas hineingebohrt hatte. Eine Spitze ragte heraus. Er packte sie mit den Fingernägeln und zog, in der Hoffnung, dass sie nicht abbrechen würde. Einen Augenblick später hielt er fluchend eine Glasscherbe zwischen den blutverschmierten Fingern.
    Er
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