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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre
Autoren: Koonchung Chan
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mochte melancholische Frauen.
    »Es gibt niemanden mehr, mit dem ich reden kann. Es gibt immer weniger Menschen wie uns. So wenige, dass sich das Weiterleben kaum noch lohnt«, sagte sie, die Augen immer noch geschlossen.
    »Ach, sag doch nicht so was! Jeder fühlt sich mal einsam. Wie groß die Einsamkeit manchmal auch sein mag – das Leben geht weiter!«
    Sie schien sich nicht an meinen abgedroschenen Phrasen zu stören: »Niemand außer mir erinnert sich. Niemand außer mir spricht davon. Bin ich vielleicht verrückt? Die Spuren sind beseitigt, die Beweise vernichtet. Niemanden kümmert es noch.«
    Ich mochte ihren Pekinger Akzent.
    Die Augen nach wie vor geschlossenen, fragte sie: »Sag mal, wir sind doch alte Freunde, nicht wahr? Wie kommt es, dass wir uns so viele Jahre nicht gesehen haben?«
    »Ich dachte, du seiest im Ausland.«
    »Bin ich nicht.«
    »Gut so. Nichts geht über China, das sagen doch jetzt alle.«
    Sie schlug die Augen auf und fixierte mich. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, und machte ein möglichst unschuldiges Gesicht. Langsam breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht aus: »Du alter Scherzkeks! Du willst mich doch bloß reinlegen!«
    Was für ein Scherz?, dachte ich, setzte aber ebenfalls schnell ein Lächeln auf.
    »Fast hätte ich geglaubt, es wäre mein Sohn, der da spricht.«
    »Dein Sohn – warum wolltest du eigentlich eben nicht von ihm sprechen? Ist ihm etwas passiert?«
    Sie antwortete mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme: »Ach wo, dem geht es blendend! Studiert Jura an der PU. Ist in die Partei eingetreten.«
    »Oh, das ist doch toll! So findet er später sicher einen guten Job«, sagte ich, so zweideutig wie möglich.
    »Er will in die Zentrale Propagandaabteilung.«
    Im ersten Moment dachte ich, ich hätte mich verhört. Sie hatte doch sicher China Mobile, Sinopec, Bank of China oder Citic gemeint! »Die Zentrale Propagandaabteilung?«
    Xiaoxi nickte.
    »Kann man sich denn da einfach so bewerben?«
    »Er sagt, dort reinzukommen sei sein Lebensziel. Er habe Großes vor! Ich ertrage es kaum. Wir haben uns nichts mehr zu sagen. Wenn du ihn hören könntest, würdest du verstehen, was ich meine.«
    Ich genoss es, so neben ihr zu sitzen. Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Es war ein herrlicher Nachmittag im noch jungen Frühling und die warmen Sonnenstrahlen hatten einige alte Ehepaare aus ihren Häusern gelockt, die sich nun hier im Park die Zeit vertrieben. Ein paar Raucher waren da und frönten ihrem Laster … Raucher? Zwei von ihnen standen einige Meter entfernt von uns und qualmten eine Zigarette nach der anderen. Ich hatte ein Faible für Kriminalgeschichten, hatte mich sogar selbst mal daran versucht. Wie die Zwei dort standen und rauchten, regte meine Fantasie an. Sie könnten zum Beispiel dabei sein, jemanden zu observieren. Aber in der realen Welt saß hier bloß ein den schönen Dingen des Lebens zugeneigter, in sentimentalen Gefühlen schwelgender Autor einiger weniger Bestseller, ohne jeglichen Observationswert. Wo Menschen waren, da waren in China auch Raucher, völlig normal.
    »Macht mich das zur Unruhestifterin?«, beklagte sich Xiaoxi gerade bei mir. »Zu einem Hindernis für das Fortschreiten der Nation? Ja, es geht mich nichts an, aber man kann doch nicht einfach so tun, als wäre nie etwas passiert! Einfach einen Schalter umlegen und alles vergessen! Ich kann so was nicht verstehen! Ich halte das nicht aus!« Was erregt sie bloß so?, fragte ich mich. War es ihr Sohn? Oder waren es ihre albtraumhaften Erlebnisse in der Vergangenheit, die plötzlich wieder hochkamen?
    Sie sah mich an. »Ich war mal mit einem deiner Landsleute auf einem arrangierten Date in irgendeinem kleinen Restaurant in Lanqiying. Ein Unternehmer, macht Geschäfte hier auf dem Festland. Hat mir den ganzen Abend Vorträge gehalten, von Astrologie und Geographie, über Medizin, Wahrsagerei und Astronomie, bis hin zum internationalen Finanzwesen und zum weltweiten Investitionsklima. Es wollte gar kein Ende nehmen. Er hatte zu allem und jedem seinen Senf abzugeben. Hat mich zu Tode gelangweilt. Aber als ich dann ein paar Versäumnisse der Regierung angesprochen habe, hat er mich sofort zurechtgestutzt. Ich hätte ja keine Ahnung und solle lieber dankbar sein! Ich hätte platzen können vor Wut. Am liebsten hätte ich ihm eine verpasst! So ein Ekel!«
    »Nicht alle Taiwaner sind so.« Ich fühlte mich verpflichtet, ein gutes Wort für uns taiwanische Männer
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