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Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
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stanken, so daß Mula Ibrahim
und ich wie im Bethaus abwechselnd Weihrauch und aromatisches Wurzelwerk
entzündeten, um die unreinen Kräfte des Gestanks gnädig zu stimmen. Aber das
half wenig,– und uns blieb nichts anderes übrig, als uns zu gewöhnen.
    Auch das war mir gleichgültig. Ich
lachte: »Der Mensch gewöhnt sich an jeden Gestank.«
    Mula Ibrahim antwortete gutmütig,
mit schönem Lächeln und ohne Gott anzurufen, denn wir waren allein: »Ich sage
immer: Es hätte schlimmer kommen können.«
    »Wie jener weise Mann sagte, als man
ihn zum Galgen führte.«
    »Mit Recht! Sie hätten ihn sofort
töten können, und dann wären ihm nicht einmal die paar Stunden Leben
verblieben. Und bis zum Galgen hofft man noch.«
    »Vergebens.«
    »Aber man hofft. Und das ist besser
als nichts. Siehst du, dieser Gestank paßt mir im Grunde.«
    »Wie ist das möglich?«
    »Paß auf: Warum sind die
öffentlichen Aborte hier? Weil das das Zentrum des Geschäftsviertels ist. Und
so einen Ort brauche ich, hier trifft sich alle Welt. Wenn ein kluger Mann die
Wahl hat zwischen reiner Luft in Armut und Gestank mit Verdienst, dann überlegt
er nicht lange. Zwei Melonen kann man nicht unter einem Arm tragen, zwei gute
Dinge kommen schwerlich zusammen. Es hätte schlimmer kommen können.«
    »Amen.«
    Mula Ibrahim war mit dieser Arbeit
so zufrieden, daß ich mich wunderte, wieso er sie nicht früher gefunden hatte.
In den Krieg war er gezogen, um der eintönigen Pflicht eines Imams in der
Moschee, der Kinder unterrichtete, und mehr noch, um den achtzehn Groschen jährlich
zu entfliehen. Der Gedanke an die fünfzig Groschen Monatslohn als Schreiber
hatte ihn verlockt, dazu das kostenlose Essen aus dem Gemeinschaftskessel, und
insgeheim hatte er nach seiner Heimkehr auf Unterstützung gehofft, auf einen
Posten, der etwas abwarf. Aber er war ohne Geld zurückgekommen, ohne neue
Kleidung, ohne seine Gesundheit und ohne Aussicht auf irgendeinen Posten, ganz
zu schweigen von einem gehobenen. Zu Hause hatte er zwei Kinder weniger
vorgefunden, als er zurückgelassen hatte, sie waren an der Pest gestorben, und
er dankte Gott, daß sie sich nicht, wie bei einigen anderen, mit der
selbstlosen Hilfe derer vermehrt hatten, die nicht in den Krieg gezogen waren.
Seine Frau machte ihm keine Vorwürfe wegen dieses nutzlosen Ausflugs in die
weite Welt, obwohl sie ein Recht dazu gehabt hätte, vielmehr dankte sie Gott,
daß er ihn am Leben erhalten hatte, denn wäre er gefallen, hätte sie sich mit
den drei übrigen Kindern bis an ihr seliges Ende plagen müssen. Sie sagte nur:
»Was treibst du dich in deinem Alter in der Fremde herum? Kannst du nicht auch
hier Schreiber sein?«
    Als wäre er aus Übermut in den Krieg
gezogen! Die Armen hatten keine Wahl, sie taten, was sie mußten, um gerade so
zurechtzukommen. Aber dann gewöhnte er sich an den Gedanken. Warum sollte er es
nicht versuchen? Warum sollte er seinem Glück bis ans Ende der Welt nachlaufen?
Er ging zu dem reichen Šehaga Sočo und lieh sich Geld, um eine
Schreibstube zu eröffnen. Er bekam es ohne Widerrede und ohne Quittung und, was
noch besser war, ohne Zinsen. Er machte einen Laden ausfindig (der Buchbinder
Ibrahim Paro war bei Chotin gefallen), säuberte ihn von Leimresten und
Abfällen, machte ein wenig Ordnung, kaufte ein paar Möbel, Papier, Schreibgerät
und wartete auf Kunden, mit Gottes Hilfe. Und die Hilfe wurde ihm zuteil: Die
Kunden kamen in größerer Zahl, als er gehofft hatte, und er überzeugte sich, daß
Weiberschelte sehr nützlich sein kann, wenn man sie als Rat auffaßt und wenn
einem das Glück hold ist. Ihm war es hold, als wollte es ihn reich entschädigen
für all die Zeit, da es ihn vergessen hatte. Er wußte auch (so sagte er, als
wir am Abend des ersten Tages nach Hause gingen), daß aus dem Laden, den Kunden
und dem Glück nichts geworden wäre, wären nicht Gottes Gnade und ich, Ahmet Šabo,
gewesen, die ihm das Leben geschenkt hatten. Er hatte Gott für seine Gnade
gedankt und sich auf die Suche nach mir gemacht, sobald seine Angelegenheiten
ein wenig geordnet waren. Und das hatte er nicht aus Dankbarkeit getan, sondern
aus Liebe: Er empfand für mich wie für einen Sohn, glücklich, weil es einen
solchen Menschen auf der Welt gab und weil gerade er mir begegnet war. Denn es
war einfacher, einem Bösewicht zu begegnen, sie waren in der Mehrzahl.
    Das wußte ich auch, deshalb
verwirrte mich diese Güte. Vielleicht empfand auch er es als ein Glück, am
Leben
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