Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Festung

Die Festung

Titel: Die Festung
Autoren: Meša Selimović
Vom Netzwerk:
vom
Alifakovac, in brüderlicher Liebe verbunden, wären bei einem anderen Chotin und
an einem anderen Dnjestr verschollen.
    Der kluge Mula Ibrahim sagt, das sei
weder dumm noch ungerecht, es sei vielmehr unser Schicksal. Gäbe es keine
Kriege, würden wir uns untereinander abschlachten. Deshalb sucht sich jedes
vernünftige Reich sein Chotin, um das Volk zur Ader zu lassen und die
angehäufte Unzufriedenheit von sich abzulenken. Einen anderen Nutzen oder auch
Schaden hätte es weder von Niederlagen noch von Siegen. Denn wer habe je nach
einem Sieg Vernunft bewahrt? Wer habe aus Niederlagen Erfahrungen gewonnen?
Niemand. Die Menschen seien garstige Kinder, garstig im Handeln, Kinder im
Denken. Und sie würden sich niemals ändern.
    Ich stimme Mula Ibrahim nicht zu,
wenigstens nicht ganz, und ich konnte mich lange nicht mit dem Tod meiner Kameraden
in den Sümpfen bei Chotin abfinden. Das erschien mir völlig unfaßbar, fast
wahnwitzig, als triebe eine unvernünftige und schreckliche Kraft ihr Spiel mit
den Menschen. Ich konnte mich vom Alptraum der Erinnerung nicht befreien, zu
schnell war ich aus der friedlichen Langeweile des Unterrichtens in die rauhe
Wirklichkeit des Tötens geraten. Mula Ibrahim meinte, es sei gut, solange ich
die Schuld einer unvernünftigen Kraft zuschöbe. Gefährlich würde es erst, wenn
ich den Schuldigen auf Erden suchte.
    Aber weder ich noch Mula Ibrahim,
der alles wußte, konnten den Vorfall erklären, den ich erzählen will. Zwar
hatten sich die Menschen in den langen Monaten des Krieges verändert, sie waren
rauher, herzloser geworden, vielleicht wegen der unendlich weiten Entfernung
von zu Hause, vielleicht hatten der Krieg und die ständige Gegenwart des Todes
sie verroht, aber dennoch, können sich Menschen so verändern, daß man
plötzlich entsetzt dasteht und sich ungläubig fragt: Wer sind diese Leute?
Unmöglich, daß es dieselben sind, die ich zwei Jahre lang gekannt habe. Als
hätte der Krieg sie angesteckt, und das bisher in ihnen verborgene, ihnen
selbst vielleicht unbekannte Böse sei auf einmal ausgebrochen wie eine
Krankheit.
    Ich kam gegen Abend von der Wache
zum Quartier zurück, einer Fußbreit festen Bodens zwischen Sümpfen, mit einer
Hütte, in der eine noch junge Frau lebte, mit drei Kindern und einer mageren,
wurmkranken Kuh in einem Reisigverschlag. Sie sorgte allein für die Kinder und
die Kuh, ihr Mann stand sicher in den gegnerischen Reihen jenseits der Sümpfe.
Sie sprach nicht über ihn, sie sprach über gar nichts, und wir stellten ihr
auch keine Fragen. Den Soldaten ging sie aus dem Weg, und abends schloß sie
sich mit ihren Kindern in der Hütte ein.
    Sie sah aus wie eine schöne junge
Braut aus einem unserer Save-Dörfer. Wir schauten ihr nach, wenn sie fest und
aufrecht zum Stall oder ins Riedgras ging, aber wir sagten nichts. Vielleicht
der Kinder wegen. Oder aus Furcht vor dem Fähnrich Avdija, der für ein
häßliches Wort über eine fremde Frau jedem den Kopf abgerissen hätte. Oder weil
wir uns noch voreinander schämten.
    An dem Tag, als alles geschah, war
der Fähnrich nicht da, man hatte ihn irgendwohin abkommandiert, und ich hatte
Wache. Sie empfingen mich finster, mit schadenfroher Drohung im Blick. »Geh in
den Kuhstall«, sagten sie. Und sie wiederholten nur das, wie einen Befehl, sie
drängten mich zur Eile und antworteten nicht auf meine Fragen. Die Kinder
hockten vor der Hüttentür.
    Ich ging um das Haus und das
aufgeschichtete Riedgras herum und trat in den Stall. Am Boden lag die Frau.
Ibrahim Paro schüttelte Strohhalme und Spinnweben von sich ab, zog seinen
Riemen fest und ging hinaus, ohne mich anzusehen.
    Die Frau lag still, mit entblößten
Schenkeln, sie versuchte nicht erst, sich zu bedecken, sie wartete, daß alles
vorüberging. Ich kniete neben ihr nieder. Ihr Gesicht war bleich, die Augen
geschlossen, die blutigen Lippen aufeinandergepreßt. Entsetzen war über sie
hinweggegangen. Ich zog das weiße Hemd über ihre Blöße, wollte ihr mit dem
Taschentuch das Blut vom Gesicht wischen. Da öffnete sie die Augen und sah mich
verstört an. Ich lächelte beruhigend: Hab keine Angst, ich tu dir nichts. Aber
das schien sie noch mehr zu erschüttern, in ihren Augen blitzte Haß auf. Ich
nahm den Zwieback aus der Tasche, den ich auf Posten nicht gegessen hatte, und
bot ihn der Frau an: Nimm, für die Kinder. Sie stieß ihn mit heftiger Bewegung
beiseite und spie mir ins Gesicht. Und ich tat nichts, ich rührte mich nicht,
wischte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher