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Die Farben der Wirklichkeit

Die Farben der Wirklichkeit

Titel: Die Farben der Wirklichkeit
Autoren: Körner
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der kleinen schmutzigen Pfütze unter dem großen Baum. Endlich erhob sich die Sonne über den Gipfel des Baumes und strahlte direkt in die schlammige, kleine Pfütze, vor der Spatzen und Meisen saßen. In der Pfütze brachen sich die Strahlen der Sonne und zauberten tausend Farben in das braune, abgestandene Wasser. Auf der Oberfläche spiegelte sich ein kleiner Ast.
    Und plötzlich sahen die Spatzen darauf einen wunderschönen Vogel sitzen, der in den Farben der Sonne leuchtete.
    „Das“, sagten die Meisen ruhig, „das ist der Paradiesvogel. Oder habt ihr jemals einen solch schönen Vogel gesehen?“
    „Nein“, murmelten die Spatzen beeindruckt und glücklich, „so etwas sahen wir noch nie.“
    Über so viel Schönheit vergaßen die Spatzen all die Fragen, die sie an den Paradiesvogel richten wollten. Still saßen sie da und schauten in die Pfütze, bis der leuchtend schöne Vogel davonflog. Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne aufging, saßen die Spatzen wieder an der kleinen Pfütze und warteten auf diesen wunderschönen Vogel. Die Meisen kamen später nach. Als die Sonne über dem großen Baum stand, strahlte wieder das Bild des Vogels aus der Pfütze. So ging es einige Tage. Die Spatzen waren glücklich, diesen schönen Vogel sehen zu dürfen. Die Fragen, deretwegen sie sich auf die Suche gemacht hatten, waren nicht mehr wichtig. Es schien, als würde der farbenprächtige Vogel alle Fragen allein durch seine Anwesenheit lösen.
    Eines Tages geschah es, daß einer der Spatzen verschlief Seine Freunde waren alle schon davongeflogen, um den Paradiesvogel zu sehen. Auch die Meisen waren nicht mehr da. Eilig flatterte er davon, um möglichst schnell zu der kleinen Pfütze zu kommen. Als er ankam, saßen alle schon dort und starrten den Paradiesvogel an. Er entdeckte eine Meise, die auf einem kleinen Ast saß. Dieser hing genau über der Pfütze. Er flog näher an die Meise heran und plötzlich erkannte er, daß sie es war, die sich in der schlammigen Pfütze auf dem Boden spiegelte. Wütend stürzte er nach unten zu seinen Freunden und piepste aufgeregt: „Seht nach oben! Schaut, wie sie uns hereinlegen!“
    Die Spatzen blickten empor und sahen gerade noch, wie die Meise davonflog.
    „So ist das also! Mit einem ganz gemeinen Trick habt ihr uns was vorgespiegelt!“ Die Spatzen waren völlig aus dem Häuschen.
    Doch die Meisen ließen sich nicht aus der Ruhe bringen: „Habt ihr nicht auch gesagt, daß ihr den Paradiesvogel gesehen habt?“ entgegneten sie den Spatzen. „Hat denn dieser Vogel ausgesehen wie eine Meise?“
    Die Spatzen verstummten, denn der in allen Farben leuchtende Vogel in der Pfütze hatte mit einer gewöhnlichen Meise wirklich keine Ähnlichkeit.
    „Aber dieser Vogel auf dem Ast, das war doch einer von euch! Und er spiegelte sich doch in der Pfütze!“
    „Das ist schon richtig“, erwiderten die Meisen, „und trotzdem — ihr habt den Paradiesvogel gesehen.“
    „Da wäre ja jeder ein Paradiesvogel. Er müßte sich nur auf einen Ast setzen und warten, bis ihn die Sonne in der Pfütze widerspiegelt.“
    „Da könntet ihr durchaus recht haben“, zwitscherten die Meisen und warfen sich fröhlich in den Morgenwind.
     

Heinz Körner
    Ein Märchen
     

     
    E s war einmal ein Gärtner. Eines Tages nahm er seine Frau bei der Hand und sagte: „Komm, Frau, wir wollen einen Baum pflanzen.“ Die Frau antwortete: „Wenn du meinst, mein lieber Mann, dann wollen wir einen Baum pflanzen.“ Sie gingen in den Garten und pflanzten einen Baum.
    Es dauerte nicht lange, da konnte man das erste Grün zart aus der Erde sprießen sehen. Der Baum, der eigentlich noch kein richtiger Baum war, erblickte zum ersten Mal die Sonne. Er fühlte die Wärme ihrer Strahlen auf seinen Blättchen und streckte sich ihnen hoch entgegen. Er begrüßte sie auf seine Weise, ließ sich glücklich bescheinen und fand es wunderschön, auf der Welt zu sein und zu wachsen.
    „Schau“, sagte der Gärtner zu seiner Frau, „ist er nicht niedlich, unser Baum?“ Und seine Frau antwortete: „Ja, lieber Mann, wie du schon sagtest: Ein schöner Baum!“
    Der Baum begann größer und höher zu wachsen und reckte sich immer weiter der Sonne entgegen. Er fühlte den Wind und spürte den Regen, genoß die warme und feste Erde um seine Wurzeln und war glücklich. Und jedes Mal, wenn der Gärtner und seine Frau nach ihm sahen, ihn mit Wasser tränkten und ihn einen schönen Baum nannten, fühlte er sich wohl. Denn da war
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