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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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Matthias Brandt in dem zweiteiligen Fernsehfilm »Im Schatten der Macht« im Jahr 2003 ausgerechnet den Kanzlerspion Günter Guillaume spielte, jenen Mann, über den sein Vater gestürzt war, wird er einer der gefragtesten Schauspieler des Landes. Hätte ein Drehbuchautor diese Vater-Sohn-Konstellation erfunden, hätte man ihm diese Wendung der Geschichte kaum abgenommen. Der Kanzlersohn wird zum Schauspieler und brilliert in der Rolle jenes biederen Stasi-Agenten, der seinen Vater ausspionierte? Ham Sie’s nich ’ne Nummer kleiner? Ein bisschen realistischer? Stärker als zuvor wird wegen dieser romanhaften Wendung jetzt auch das Privatleben von Matthias Brandt für die Medien interessant: Es erscheinen zahlreiche Porträts über den jüngsten Sohn des Politikers. Im Januar 2009 publiziert der »Stern« ein Porträt unter dem Titel »Der Verstörende«. Die Reporterin Ulrike Posche begleitet den Schauspieler für einen Tag in seinem Berliner Leben. Zum Abschluss des Gesprächs fährt Matthias Brandt mit der Journalistin zum Waldfriedhof. Warum? Der Schauspieler ist ein ungemein zuvorkommender, höflicher Mensch. Will er der Journalistin entgegenkommen, weil er weiß, dass sie nach intimen Einblicken sucht? Ist es ein spontaner Einfall, eine intime Geste oder eine kleine Inszenierung? Ulrike Posche schildert den Gang zum Friedhof folgendermaßen: »Sollen wir noch eben bei Rut und Willy vorbeigehen?«, fragt Matthias Brandt. Dann stoppt er seinen tomatensaftroten Mercedes 200, Baujahr 81, vorm Zehlendorfer Hauptportal. Er schnürt den Weg hinauf, zeigt auf Ehrengräber links und Ehrengräber rechts. Hier Hildchen Knef, da Ernst Reuter, dort Günter Pfitzmann. Nach kurzer Strecke steht er vor seinem Vater. »Und wieder ’ne einzelne Rose drauf«, singsangt er und keckert ein brüchiges Matthias-Brandt-Lachen, »hat noch viele Verehrer, unser Willy. Und Verehrerinnen.« Matthias Brandt zeigt sich hier betont offen, locker und »unverkrampft«. Er sagt »unser Willy«, und damit verlässt er den ausschließlich familiären Standort. Willy gehört allen, nicht nur mir. »Unser Willy«, das ist die öffentliche Figur, der kultisch verehrte Politiker, das überparteiliche Vorbild. Klingt aber »unser Willy« vielleicht auch verächtlich, herablassend oder bitter? Nein, meint die Reporterin, es klingt nur »ein bisschen ironisch, vielleicht auch verlegen«. Was der Schauspieler wirklich meint, wenn er am Grab des Vaters von »unserem Willy« und seinen Verehrern spricht, bleibt in der Schwebe, wird durch den halb ironischen, halb verlegenen Tonfall in einer unbestimmten Vieldeutigkeit belassen. Distanz, Gelassenheit, verborgene Missbilligung, Humor, Zuneigung? Vieles ist denkbar, aber wirklich bestimmbar ist nichts. Einerseits gewährt der Schauspieler scheinbar freizügig Einblick in die Vater-Sohn-Beziehung, andererseits liefert er keine eindeutigen Lesarten und hüllt sich in verschwiegene Beredsamkeit. Zwischentöne beherrscht der Schauspieler Matthias ebenso wie sein Bruder Lars.
    Tochter Ninja und Peter Brandt haben sich noch nicht öffentlich über das Totengedenken geäußert. Ich werde versuchen, sie zu fragen, welche Wege sie zum Grab führen und ob sie mit den Toten Zwiesprache halten.
    Der Dialog mit den Toten, der ja überall und nicht nur an Gräbern stattfinden kann, gehört zu einer Familie, weil er das Gestern und Heute verknüpft, weil in ihm die Fragen aufgeworfen werden, die eine Familie bewegen. Die vorliegende Familiengeschichte versucht jedoch nicht, den Faden der Erzählung enger zu knüpfen, als das Gewebe zwischen den Mitgliedern der Familie tatsächlich gewesen ist. Irgendwann geht jeder eigene Wege, irgendwann ist jeder allein unterwegs, mag er auch noch so sehr sich gebunden fühlen oder gebunden sein. Die Familie Brandt, die Familie Willy Brandt wurde nicht von einem Bundeskanzler regiert, und sie soll hier auch nicht dazu dienen, Willy Brandt über krumme Wege durch Küche, Bad und Bett als Mensch auf die Schliche zu kommen. Familien lassen sich nicht auf einen Namen und Nenner bringen, und wenn man fünf Kinder die Geschichte ihrer Familie erzählen ließe, bekäme man vermutlich fünf sehr unterschiedliche Versionen zu hören.
    Diese Familiengeschichte soll daher in besonderem Maße offen sein für Fragmente, rivalisierende Einschätzungen, Leerstellen, Entwicklungssackgassen und abgerissene Fäden. Im Zentrum des Buches steht nicht Willy Brandt, obwohl die Gravitation seiner Ämter und
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