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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Autoren: Torsten Körner
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Tuberkulose – aus dem Leben und aus seiner Familie riss. Ihm war nichts, Brandts Vater hingegen alles vorzuwerfen. Grabsteine – betrachtet man sie nur lang genug und liest ihre Zeichen – werden zu Fragezeichen.

Rut und Willy Brandt setzen Zeichen. An Heilig Abend 1959 stellen sie Kerzen in ihr Fenster, um den Gedanken der deutschen Einheit wachzuhalten. Damit folgen sie, wie viele andere Bundesbürger, einem Aufruf des Kuratoriums Unteilbares Deutschland.
[ullstein bild/ullstein bild]

    Ich verlasse den Friedhof. Der Regen hat aufgehört. Ein kleiner Bagger hebt ein Grab aus. Auf dem Rückweg fahre ich durch die Marinesiedlung am Schlachtensee, hier lebte die Familie Brandt von 1949 bis 1964 in einem bescheidenen Reihenhaus. Von dort aus ist es nicht weit in den Grunewald, wo der Regierende Bürgermeister und seine Familie in einer vom Senat gekauften Dienstvilla lebten, ehe die Brandts 1967 nach Bonn umzogen. Und zuletzt schaue ich noch am Schöneberger Rathaus vorbei, dieser »großen, steinernen Schachtel«, dort, wo Brandt von 1957 bis 1966 als Berliner Bürgermeister gewirkt hatte, wo Rut ein- und ausgegangen war, wo die Kinder ab und an in seinem dunklen Amtszimmer vorbeigeschaut hatten.
    Berlin, so viel ist klar, wird in dieser Geschichte keine geringe Rolle spielen. Matthias und Peter Brandt haben es nicht weit zum Grab ihrer Eltern, wenn sie in Berlin sind. Lars lebt in Bonn und Ninja in einem Außenbezirk von Oslo. Doch die Entfernung, die jemand zum Grab seiner Eltern einnimmt, bemisst sich nicht in Kilometern.
    Auf der Fahrt durch die Stadt habe ich Zeit, über die Brandts, ihre Gräber und ihre Geschichte nachzudenken. Das, was jemand in der Öffentlichkeit über seine Beziehung zu den Gräbern seiner Eltern sagt, verdient besondere Beachtung, denn hier setzt jemand ein Signal: So will ich meinen Dialog mit den Toten verstanden wissen, so stehe ich ohne euch in der Welt. An Gräbern sucht man Wahrhaftigkeit und Wege zu sich selbst, denen man trauen möchte. Die Konfrontation mit dem Grab wird als beglaubigtes Echtheitssiegel der eigenen Empfindung verstanden.
    In seinem Erinnerungsbuch »Andenken«, es erschien 2006 und wurde sofort ein Bestseller, in dem sich Lars Brandt mit seinem Vater und fremden wie eigenen Vaterbildern auseinandersetzt, stößt man auf eine Passage, die einen Besuch am Grab des Vaters schildert:
    »Ich suchte nach seinem Grab, dessen Lage sich mir bei der Beerdigung, dem langen Gang durch flankierende Polizistenreihen, nicht eingeprägt hatte. Gleich mir fanden andere Leute, die mir unbekannt waren, auf dem weiten Areal die Stelle, wo er beigesetzt ist; sie legten Blumen an den Rand; Nelkensträußchen, die selber nicht gerade lebendig aussahen.
    Ich stand an seinem Grab, aber hatte nicht das Gefühl von mehr Verfügungsgewalt über den, der in ihm liegt, jetzt, da er sich nicht mehr zu wehren vermochte. Er gab, was er zu geben hatte, auf seine Art.«
    Hier wird deutlich, dass der Sohn selbst in so einem intimen Augenblick wie dem Friedhofsgang das eigene Erleben mit anderen, ganz fremden Menschen teilen und seinen eigenen Standpunkt daher behaupten muss. Schon die Beerdigung, ein öffentlicher Akt, ließ kaum zu, sich die Lage des Grabes einzuprägen. Auch deshalb ist mindestens ein zweiter Gang nötig, um einen eigenen, nicht entfremdeten Weg zum Grab zu finden. Doch der Tote ist dem Sohn, dem Überlebenden, jetzt nicht ausgeliefert, und der Sohn fühlt nicht mehr »Verfügungsgewalt« über den Mann, der sich nicht mehr wehren kann. »Verfügungsgewalt«? Ein merkwürdiges Wort, um eine Beziehung zwischen Personen, Lebenden oder Toten, zu charakterisieren. Über jemanden verfügen, eine »Verfügungsgewalt« über jemanden besitzen, ist das Wunsch oder Widerwille? Und noch am Grab findet der Sohn einen Charakterzug seines Vaters bestätigt. Die Art des Vaters, sich hinzugeben, war eine besondere, ihm eigene, die sich dem Begehren anderer, ihren Verfügungswünschen und Nähe-Ersuchen widersetzte. Was er gab, wenn er gab, gab er auf seine Art. Wer das nicht akzeptierte, auch das ist eine Flaschenpost dieser Schilderung, ging leer aus. Der Sohn, Lars, akzeptiert diese Eigenheit des Vaters und behauptet so gegen alle anderen öffentlichen und privaten Brandt-Sucher seine eigene, ihm gemäße Verbundenheit mit dem Vater.
    Von Matthias Brandt ist ein anderer Ton überliefert, ein anderer Blick, eine andere Art, seinen Besuch am Grab der Öffentlichkeit mitzuteilen. Nachdem
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