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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen
Autoren: Jules Verne
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bleiben.
    Es war jetzt um acht Uhr Abends.
    Auf dem Verdeck ausgestreckt, ruhte Johann noch immer. Clary kniete neben ihm, stützte seinen Kopf und sprach auf ihn… Er gab keine Antwort; vielleicht hörte er sie gar nicht.
    Clary blickte um sich. Wo sollte sie Hilfe suchen inmitten dieser Verwirrung, in dem von Flüchtigen vollgestopften Dorfe mit den zahlreichen Verwundeten, denen Aerzte und Arzneimittel fehlten?
    Da sah Clary ihr ganzes Leben an ihrem geistigen Auge vorüberziehen. Ihr Vater gefallen für die nationale Sache!… Der, den sie liebte, sterbend in ihren Armen, nachdem er bis zur letzten Stunde heldenmüthig gekämpft! Jetzt stand sie allein in der Welt, ohne Vaterland, eine leichte Beute der Verzweiflung…
    Nachdem sie Johann mit einer Sonnenzeltleinwand bedeckt, um ihn gegen die beißende Kälte zu schützen, untersuchte Clary, die sich über den Verwundeten neigte, ob sein Herz nicht noch leise schlüge, ob nicht ein Laut über seine Lippen kommen werde.
    In der Ferne, an der anderen Seite des Flusses, krachten noch die letzten Flintenschüsse, deren Aufblitzen zuweilen die Baumgruppen der Insel Navy durchleuchtete.
    Endlich schwieg Alles und das Thal des Niagara bettete sich in düstere Todtenstille.
    Unwillkürlich stammelte das junge Mädchen den Namen ihres Vaters und auch den Johanns, da sie sich sagte – und das schnitt sie ins Herz – der junge Patriot könne vielleicht mit dem Gedanken sterben, auch noch über das Grab hinaus von dem Fluche der Menschen verfolgt zu sein. Dann betete sie für den Einen wie für den Anderen.
    Plötzlich erbebte Johann; sein Herz klopfte etwas lebhafter. Clary rief ihn an.
    Johann antwortete nicht.
    Zwei Stunden gingen so dahin; Alles ruhte an Bord der »Caroline«.
    Kein Laut aus den Cabinen – kein Geräusch auf dem Verdeck. Nur Clary wachte hier allein, gleich einer barmherzigen Schwester am Lager eines Sterbenden.
    Die Nacht war sehr dunkel. Schwerfällig wälzten sich die Wolken über dem Strome hin. Lange Nebelschleier hingen an den Skeletten der Bäume, deren von Rauhfrost bedeckte Zweige längs des Ufers hinausstarrten.
    Kein Mensch vermochte da vier Boote wahrzunehmen, welche, die Spitze der Insel stromaufwärts umfahrend, geräuschlos an dem Ufer von Schlosser dahinglitten.
    Diese Boote waren besetzt von ungefähr fünfzig Kronfreiwilligen unter dem Befehl des Lieutenant Drew, von der königlichen Miliz. Auf Anordnung des Oberst Mac Nab stand jener Officier unter Mißachtung allen Völkerrechts im Begriff, eine Missethat auszuführen, welche an roher Grausamkeit in amerikanischen Gewässern nicht ihres Gleichen hatte.
    Unter seinen Leuten befand sich ein gewisser Mac Leod, der in der nächsten Folgezeit sehr ernste internationale Verwickelungen heraufbeschwören sollte.
    Die vier durch Ruder ganz geräuschlos fortgeführten Boote glitten über den rechten Arm des Niagara, legten sich dicht neben die Bordwand der »Caroline« und begannen da ein schreckliches Gemetzel.
    Die verwundeten oder schlafenden Passagiere konnten sich nicht wehren; sie stießen verzweifelte Schreie aus. Vergeblich. Nichts hätte die Wuth jener elenden Schurken zu dämpfen vermocht, unter denen Mac Leod, die Pistole in der einen, die Axt in der anderen Hand, wie ein Cannibale seine Opfer abschlachtete.
    Johann hatte das Bewußtsein noch nicht wieder erlangt. Voller Entsetzen beeilte sich Clary das Zeltdach so weiter auszubreiten, daß es sie Beide verhüllte.
    Inzwischen hatten doch einige Passagiere flüchten können, sei es, daß sie auf die Landungsbrücke von Schlosser oder gleich über Bord sprangen, um schwimmend das Ufer zu erreichen, wo Mac Leod und seine Würger sie zu verfolgen nicht wagen durften. Uebrigens war jetzt auch im Dorfe Lärmen entstanden, und die Bewohner desselben liefen herbei, um Hilfe zu bringen.
    Das Gemetzel hatte nur wenige Minuten angedauert und viele Opfer desselben wären gewiß verschont geblieben, wenn nicht Mac Leod, jenes Scheusal in Menschengestalt, an der Spitze der Mörder stand.
    Dieser hatte in seinem Boote nämlich eine Menge leicht brennbaren Materials mitgebracht und das ließ der Elende auf das Deck der »Caroline« schaffen. Binnen wenigen Secunden standen nun Rumpf und Takelwerk in Flammen.
    Gleichzeitig waren die Haltetaue durchschnitten worden und das kräftig vom Lande abgestoßene Fahrzeug schwankte hinaus in die Strömung.
    Die Lage wurde entsetzlich.
    Drei Meilen weiter unten stürzte der Niagara seine Wasserfluthen in
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