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Die falsche Tochter - Roman

Die falsche Tochter - Roman

Titel: Die falsche Tochter - Roman
Autoren: Nora Roberts
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Gemeinde braucht Jobs. Das Bauvorhaben am Antietam Creek schafft beides. So etwas nennt man Fortschritt.«
    »Dreißig neue Häuser. Mehr Verkehr auf Straßen, die nicht dafür ausgelegt sind, Schulen, die bereits jetzt überfüllt sind, der Verlust von Freiflächen und Ackerland.«
    Das »Schätzchen« hatte Lana nicht erschüttern können, doch jetzt spürte sie den alten Ärger wieder in sich aufsteigen. Sie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Die Gemeinde hat sich gegen das Bauprojekt gewehrt. So etwas nennt man Verlust von Lebensqualität. Aber das ist ein anderes Thema«, fügte sie hinzu, bevor er etwas erwidern konnte. »Bis die Knochen überprüft worden sind, arbeiten Sie nicht weiter.« Sie tippte mit dem Finger auf die gerichtliche Verfügung. »Sie werden diesen Prozess sicher beschleunigen wollen, indem Sie die Tests bezahlen, nicht wahr? Radiokarbonmethode.«
    »Bezahlen …«
    Na, dachte sie, wer ist jetzt der Sieger? »Das Land gehört Ihnen, und damit gehören Ihnen auch die Fundstücke.« Lana hatte ihre Hausaufgaben gemacht. »Sie wissen, dass wir Sie mit Gerichtsbeschlüssen und einstweiligen Verfügungen überschütten werden, bis das alles geklärt ist. Bezahlen Sie die zwei Dollar, Mr Dolan«, erklärte sie und stand auf. »Ihre Anwälte werden Ihnen das Gleiche raten.«
    Lana wartete, bis sie Dolans Bürotür hinter sich geschlossen hatte. Erst dann ließ sie es zu, dass sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie trat aus dem Gebäude und atmete die schwüle Sommerluft ein, während sie die Hauptstraße von Woodsboro entlangblickte. Beinahe wäre Lana wie eine Zehnjährige
über den Gehweg gehüpft. Dies war jetzt ihre Stadt, ihr Zuhause. Sie hatte es schon so empfunden, als sie vor zwei Jahren von Baltimore nach Woodsboro gezogen war. Sie mochte diese kleine Stadt voller Tradition und Geschichte im Schatten der fernen Blue Ridge Mountains, die so weit vom großstädtischen Treiben Baltimores entfernt war.
    Lana war in der Großstadt geboren und aufgewachsen und hatte sich mit der Entscheidung, nach Woodsboro zu ziehen, sehr schwer getan. Aber nachdem sie ihren Mann verloren hatte, konnte sie Baltimore, wo sie so viel an ihn erinnerte, nicht mehr ertragen. Steves Tod hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, und es dauerte fast sechs Monate, bis sie die Trauer einigermaßen überwunden hatte und sich erneut dem Leben stellen konnte. Doch sie vermisste Steve noch immer schmerzlich. Er hatte eine große Lücke hinterlassen, die noch nicht wieder geschlossen war. Aber Lana musste funktionieren, schließlich hatte sie Tyler. Ihr Baby, ihren Jungen, ihren kleinen Schatz. Sie konnte ihm seinen Daddy nicht zurückbringen, aber sie konnte dafür sorgen, dass er eine schöne Kindheit hatte. In Woodsboro hatte Ty genug Platz zum Toben, er hatte einen Hund, Nachbarn und Freunde – und eine Mutter, die alles Menschenmögliche tat, um ihn sicher und glücklich aufwachsen zu lassen.
    Im Gehen blickte Lana auf ihre Armbanduhr. Heute war Ty nach der Vorschule mit zu seinem Freund Brock gegangen. In einer Stunde würde sie bei Jo, Brocks Mutter, anrufen, um zu hören, ob alles in Ordnung war. An der Kreuzung blieb Lana stehen und wartete darauf, dass die Ampel grün wurde. Es herrschte nicht viel Verkehr, schließlich war Woodsboro eine Kleinstadt.
    Lana sah allerdings nicht aus, als lebte sie in einer Kleinstadt. Ihre Garderobe stammte aus jenen Zeiten, als sie noch eine aufstrebende Anwältin in einer großen Kanzlei in der Stadt gewesen war. Jetzt hatte sie ihr Büro in einem Nest auf dem Land, das noch nicht einmal viertausend Einwohner hatte, aber das bedeutete nicht zwangsläufig, dass sie sich nicht
weiterhin wie eine erfolgreiche Frau kleiden konnte. An diesem Tag trug sie einen hellblauen Anzug aus kühlem Leinen. Der klassische Schnitt betonte ihre zarte Gestalt. Die blonden Haare, die zu einem Bob geschnitten waren, umrahmten ihr hübsches, jugendliches Gesicht. Lana hatte runde, blaue Augen, weshalb sie irrtümlicherweise oft für arglos gehalten wurde, eine Stupsnase und einen großzügig geschwungenen Mund.
    Als sie den »Treasured Pages«-Laden betrat, strahlte sie den Mann hinter der Theke an und tanzte einen kleinen Siegestanz. Roger Grogan nahm seine Lesebrille ab und zog die buschigen, weißen Augenbrauen hoch. Er war ein schlanker, agiler Mann von fünfundsiebzig, bei dessen Anblick Lana immer an einen verschmitzten Kobold denken musste. Er trug ein weißes,
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