Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Falken und das Glück - Roman

Die Falken und das Glück - Roman

Titel: Die Falken und das Glück - Roman
Autoren: Reber Sabine
Vom Netzwerk:
Das Manuskript liegt zwischen meinen Knien, deine Urne und dein Buch, sie gehören zusammen.
    Ich möchte mehr erfahren über das Leben der Piratin. Deine Erzählung hört mittendrin auf. Erst dachte ich, du seiest mit dem Text nicht fertig geworden. Als ich deine Tagebücher durchgearbeitet hatte, begriff ich, dass du mit Granuaile Anlauf genommen hattest für den nächsten Schritt in deinem eigenen Leben. Sie hat dir Mut gemacht. Also hast du aufgehört an der Stelle, wo alles möglich schien, und bist selber aufgebrochen. Die Geburt meiner Tochter war nur der äußere Anlass gewesen. Dein Entscheid hatte Jahre gebraucht, um zu reifen.
    Als Fremde bist du schließlich zurückgekehrt, mit einem fremden Pass, mit einer aufwändigen Fönfrisur, wie sie hier niemand trug, mit zu schmalen Sicheln gezupften Augenbrauen. Du sahst aus wie eine englische Touristin, du hattest dir Mühe gegeben, hattest das Landleben abstreifen und als gepflegte Erscheinung zurückkehren wollen. Du hattest keine Ahnung mehr, wie man sich hier kleidete, du bewegtest dich anders, du sprachst anders, brauchtest Wörter und Wendungen, die wir seit Jahren nicht mehr benutzten. Du irrtest durch die Stadt, suchtest nach Einkaufszentren, die es längst nicht mehr gab. Es fiel dir schwer, auf der rechten Straßenseite zu fahren, dennoch habe ich dir meinen Alfa überlassen. Bei den ersten Fahrversuchen habe ich dich begleitet, habe dich auf Fußgängerstreifen und das geltende Vortrittsrecht aufmerksam gemacht. Wie verloren du wirktest, wie ein Küken, das aus dem Nest gefallen war. Du hattest das Gefühl, ohne Daniel nicht leben zu können. Und mit ihm konntest du erst recht nicht mehr leben. Du hast einen unglaublichen Mut bewiesen, wie du versucht hast, dein Leben neu zu erfinden, du hast alles versucht, um wieder Fuß zu fassen.
    Wir durchfliegen dicke Wolkenfelder. Ich unterdrücke einen Schrei, ich halte mich an der Tasche fest. Ich habe Sarahs erste Babyschuhe als Glücksbringer am Henkel befestigt. Sarah hatte sie damals, als du sie ihr geschenkt hast, in ihren kleinen Händen gedreht und gewendet und sie dann in den Mund genommen. Sie biss darauf herum mit ihrem zahnlosen Mund, bis sie ganz zerknautscht waren. Auf dem Rücken lag sie, biss in die Kappen, zerrte und sabberte und schaffte es schließlich, die Bändel aus den Ösen zu ziehen. Als sie sich beruhigt hatte, band ich ihr die Schuhe an die Füße, ich zurrte sie mit einem doppelten Knoten fest. Und dann waren sie auch schon zu klein. Ich fahre über das goldene Ziegenlederfutter der Babyschuhe, während die Boeing 737 durch graue Watte sticht und sich unter mir das Nichts auftut, andauernd fahre ich mit dem Finger darüber, die goldene Farbe färbt noch immer ab. Sarahs erste Schuhe, ich balle sie in der Faust zusammen. Ich starre aus dem Fenster. Die Boeing arbeitet sich durch die Wolkendecke, das Zeichen zum Angurten erlischt mit einem ploppenden Geräusch, ich kneife die Augen zusammen, der Himmel gleißt, blau, so blau.
    Ich will den Ort noch einmal aufsuchen, an dem du gestorben bist. Ich erinnere mich, wie ich den Turm zum ersten Mal gesehen habe, von der Fähre aus. Zwischen zwei Wellen riss der Himmel auf, gab die Insel frei, grünes Grasfell, ein schlafendes Tier. Schafweiden, Kartoffeläcker und Kargheit, die Armut war beinahe greifbar in die Hänge geschrieben. Wie aufgewühlt das Meer gewesen war, als ich damals auf die Insel übersetzte. Ich erinnere grüne Flecken, dann wieder Gischt. Durch die Kratzer auf der Scheibe erschien die Welt unscharf, verzerrt. Wenn zwischen zwei Wellentälern etwas Himmel oder ein Stück Landschaft auftauchte, sahen sie so unwirklich aus, als kämen sie im Fernsehen.
    Einzelne Wolken ziehen an uns vorbei, schöne weiße Wolken am blauen Himmel. Sie sehen harmlos aus, aber sie sind heimtückisch, in ihrem Innern herrschen mächtige Wirbel. Schönwetterwolken haben eine extreme Thermik, bevor man sich versieht, entladen sie sich in einem Gewitter. Das hast du mir einmal erklärt, als du mit einem Kollegen Gleitschirm geflogen bist. Du hattest dich vor nichts gefürchtet, nie war dir etwas zugestoßen. Du warst die Mutige von uns beiden gewesen, zwei Jahre älter und mir stets drei Schritte voraus.
    Und dann wurde ich schwanger. Das erschütterte dich zutiefst. Meine kleine Schwester wird Mutter!, hattest du ins Telefon gebrüllt, ich fasse es nicht, meine kleine Schwester wird Mutter!
    Meine Frau spinnt, hatte Daniel gesagt.
    Deine Frau ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher