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Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Titel: Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Autoren: Marita Sydow Hamann
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bewusst.
    Immerhin verschwieg Od seinem Herrn etwas, das er weder einordnen noch beherrschen konnte – und das durchaus zu einer Gefahr für Asgârd werden konnte. Nicht, dass Hanna tatsächlich dachte, dass sie für Oden ein wirkliches Problem war, aber es würde wohl ausreichen, wenn Od oder Oden selbst dies glaubten. Bereits geringster Widerstand wurde in Odens Nähe mit Aufenthalt im Kerker Gnipahâl oder gar mit dem Tode bestraft.
    Od hatte sich also durch sein Schweigen in eine missliche Lage gebracht und sein Bestreben, Oden zu gefallen, hatte Hanna einen kleinen, nicht zu verachtenden Vorteil verschafft. Denn anstatt sich sofort ihrer zu entledigen, hatte Od sie vor Oden in den höchsten Tönen gelobt. Nun schwieg er aus Angst vor den Konsequenzen seiner Lüge.
    Um nicht durchschaut zu werden, ließ Od Hanna in regelmäßigen Abständen in seine Gemächer rufen, hielt sich aber selbst von ihr fern. Meist befand er sich in einem der hinteren Räume und befahl ihr, nach angemessener Zeit wieder zu gehen. Für Hanna war es ein recht befremdendes Arrangement, mit dem sie sich aber schnell anfreundete.
    Da sie neben ihrer Bestimmung als Haremsdame hauptsächlich in der Küche und zum Putzen eingesetzt wurde, kamen Od ihre eigentlichen Qualitäten rasch zu Ohren. Denn Hanna legte großen Wert auf Sauberkeit und Hygiene, was in der mittelalterlichen Kultur von Godheim und Vanaheim keineswegs eine Selbstverständlichkeit war. Od nutzte dies, um seiner Lüge ein Fundament zu verschaffen und servierte Oden Hannas Vorzüge als Reinigungskraft sozusagen auf dem hochglanzpolierten Silbertablett.
    Odens pedantische Neigungen waren jedem auf Asgârd bekannt. Hannas Vorliebe für Ordnung und Sauberkeit fiel bei ihm daher auf fruchtbaren Boden. Hanna wurde zu seiner persönlichen Putzfrau befördert und erledigte ihre täglichen Arbeiten in Odens Gemächern zu seiner höchsten Zufriedenheit.
    Od hatte sich mit diesem Zug allerdings völlig ins Schachmatt gesetzt. Nun war es ihm unmöglich, Hanna auf einfache Weise und ganz nebenbei verschwinden zu lassen.
     
    Hanna schlenderte den langen Gang entlang und trat im nächsten Innenhof ins Freie. Obstbäume aller Art reihten sich in schönster Ordnung aneinander.
    Es war Skörde-Monat und die Obsternte stand kurz bevor. Die Chefköchin von Asgârd verlangte für ihre Desserts reife Früchte. Hanna streifte durch die Baumreihen und prüfte mit geübtem Griff die Reife des Obstes.
    Sie war zu einer mustergültigen Dienstbotin mutiert. Zumindest nach außen hin. Wohl darauf bedacht, keine sichtbaren Fehler zu begehen, begann Hanna bereits nach kurzer Zeit, im Verborgenen zu handeln. Systematisch erkundete sie seit einigen Wochen die Burg und ihre Geheimnisse. Falls sie hier jemals wieder fortkommen wollte, musste sie eine brillante Lösung finden – und die gab es ganz bestimmt nicht in der Küche.
    Hanna pflückte die bestellten Hexennasen und machte sich ohne Eile auf den Rückweg. Sie hatte gerade den Gang mit dem Torbogen hinter sich gelassen, als ihr ein Küchenjunge durch den Kräutergarten entgegen rannte. Hanna lächelte ihm zu.
    »Aslak! Du hast es aber heute eilig!«
    Er schaute besorgt drein.
    »Od lässt dich suchen. Du sollst auf der Stelle zu Oden in den Nordturm kommen«, sagte er.
    »Jetzt sofort?«
    Aslak nickte wieder und schielte auf den Korb mit Obst und Kräutern.
    »Od schien nervös. Ich habe ihn noch nie zuvor so gesehen. Ich bringe den Korb für dich in die Küche, dann kannst du sofort loslaufen.«
    Hanna reichte ihm nachdenklich ihren Korb und sah an sich hinunter.
    »Ja, danke Aslak. Aber ich sollte mir schnell noch eine saubere Schürze holen.«
    Er sah Hanna zweifelnd an.
    »Ich glaube, du solltest sofort gehen. Es schien sehr dringend.«
    Hanna nickte, aber sie wusste es besser. Gerade ihre Sauberkeit und Ordnungsliebe waren der Grund dafür, dass Oden sie in seine Gemächer ließ.
    Aslak sah ihr sorgenvoll nach, als sie in der Burg verschwand. Ods seltsames Verhalten hatten ihn mehr als nur beunruhigt. Irgendetwas stimmte nicht.
    Hoffentlich hat sich Hanna nichts zu Schulden kommen lassen.
    Sie spielte zwar die gezähmte Stute, aber Aslak war sich keineswegs sicher, dass sich Hanna tatsächlich untergeordnet hatte.
     
    Hanna band sich eine frische, hellblaue Schürze um, obwohl dies einige Minuten Verzögerung bedeutete. Nun lief sie die dunkle Treppe hinauf, die sich in Odens Turm emporwand – dem Nordturm Asgârds. Vereinzelte Fackeln
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