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Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Titel: Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Autoren: Marita Sydow Hamann
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reichte Hugin seinen Speer und nahm auf dem elfenbeinfarbenen Thron Platz.
    »Einen großen Krug Odrörer, schnell!«
    Od eilte zur Schänke hinüber und begann das begehrte Getränk zu zapfen, während Hugin den Speer an seinen angestammten Platz brachte. Ein kunstvoll verziertes Gestell nahm die Waffe in sich auf. Im Fackelschein traten magische Runen auf der Speerspitze zum Vorschein. Gungner war kein gewöhnlicher Speer. Es handelte sich um eine von Schwarzelfen geschmiedete Waffe. Ein Gegenstand aus der alten Zeit, der im guten Glauben hergestellt worden war, dann aber durch Hinterhältigkeit und Verrat zum Mordswerkzeug geworden war.
    Gungner traf immer sein Ziel. Damals wie heute konnte ihm niemand entkommen. Und Gungner hatte noch eine außergewöhnliche Eigenschaft. Wie ein Bumerang kehrte der magische Speer immer zu demjenigen zurück, der ihn schleuderte. Eine verheerende Kombination, die in falschen Händen nur Tod und Leid bringen konnte.
    »Nun?«, fragte Oden. »Mein eigenes kleines Projekt läuft zu meiner vollen Zufriedenheit. Können eure Nachrichten mich noch mehr erfreuen?«
    Hugin berichtete von Ulls Nachfolge und von dem verheißungsvollen Odrörer-Jahrgang. Oden ließ ein zufriedenes Grunzen hören und trank in großen Zügen aus dem Kelch, den Od ihm gereicht hatte. Sein langer, schwarzer Bart, den er zu zwei Zöpfen geflochten trug, hob und senkte sich. Seine eingefallenen Wangen bildeten einen makabren Kontrast zu den spitzen, stark hervortretenden Wangenknochen.
    »Es könnte kaum besser laufen«, brummte Oden und wischte sich den Odrörer aus dem Bart.
    Im nächsten Augenblick versteifte sich sein Körper. Oden schien in sich hineinzuhorchen. Ods Muskeln spannten sich. Er wartete misstrauisch auf die Reaktion seines Gebieters, denn diese Geste war ihm nur allzu gut in Erinnerung. Unzählige Male hatte Oden im letzten Jahr auf diese Weise in sich hinein gesehen.
    Er war auf der Suche gewesen, hatte etwas gespürt und letztendlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte.
    Aber es hatte lange gedauert. Sehr lange und es hatte viele Wutausbrüche von Oden gegeben. Sehr viele. Ganz Asgârd hatte in dieser Zeit in Angst und Schrecken gelebt, in der Ungewissheit, was Oden in seiner Wut und Frustration anrichten würde und wen es als nächstes treffen würde.
    Ods Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während er Odens regungslose Gestalt beobachtete. Plötzlich begannen Odens Bartzöpfe zu zucken. Ein grausames Flüstern durchbrach die Stille.
    »Es ist hier … es ist tatsächlich hier … es muss so sein …« Oden sprach abwesend, seine Worte richteten sich eindeutig nach innen, in sich selbst hinein. Od hatte das beklemmende Gefühl, ungebetener Zeuge zu sein, als ob er eine intime Grenze überschritten hätte. Er merkte, wie sich seine roten Nackenhaare sträubten.
    »Es ist hier … endlich ist es hier …«, flüsterte Oden. »Jetzt spüre ich es …«
    Doch warum erst jetzt? , fragte er sich, wo er doch seine Sinne unzählige Male über Mannaheim hatte schweifen lassen.
    In letzter Zeit hatte er mehrmals die lange verschollenen Weidegründe Mannaheims betreten. Hätte er diese Anwesenheit nicht auch dort spüren müssen? Wann war es durch den Nebel gekommen? Wie lange war es bereits hier? Aber ohne magische Fähigkeiten konnte niemand es von Mannaheim fortbringen … Es – das dritte und letzte Bruchstück des Amuletts, das Oden unbedingt in seine Hände bekommen musste.
    Dieser schwarzhaarige Junge … hatte er gelogen? Hatte er doch beide Teile mitgebracht?
    Zum ersten Mal seit jenem Tag auf Bilskirne bereute Oden, den Jungen sofort getötet zu haben. Nun war es zu spät, er konnte ihn nicht mehr befragen. Odens lange, knochige Finger umfassten krampfhaft die Armlehne des Throns, sodass die Gebeine totenweiß hervortraten. Er begann zu zittern.
     
    Od registrierte es mit wachsender Unruhe. Odens gute Laune war vorüber und ein Donnerwetter konnte jeden Moment losbrechen. Od kannte die Vorzeichen nur allzu gut: Das Mahlen der Kiefer, das Zähne-knirschen …
    Mit einem Schluck leerte er den Odrörer-Kelch und richtete sich zur vollen Größe auf. So gewappnet, wartete er die Befehle seines Herrn ab, die unweigerlich kommen würden.
    Falls dieser Junge tatsächlich beide fehlenden Teile mitgebracht hatte, dann …, dachte Oden unterdessen bei sich. Der Junge musste beide Teile besessen haben. Das würde erklären, warum Oden auf Manna-heim die Präsenz des fehlenden Amulett-Stücks
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