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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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Max Reinhardt, der Schauspieler Karlweis, Martin Gumpert, der Verleger Landshoff, Fritz von Unruh und seine Frau figurieren da, die liebenswerte alte Annette Kolb, Erich von Kahler, unsere britische Freundin aus Princeton, Molly Shenstone, und amerikanische Kollegen der jüngeren Generation wie Glenway Westcott, Charles Neider, Christopher Lazare, dazu unsere Kinder. Wir verbrachten {417} »Thanksgivings-Day« zusammen mit südamerikanischen Gästen im Landhause Alfred Knopfs zu Whiteplane. In deutschsprachigem Kreise gab es Vorlesungen aus entstehenden Büchern: Kahler teilte einiges höchst Eindrucksvolle aus seiner Geistesgeschichte der Menschheit mit, die unter dem Titel
Man the Measure
erscheinen sollte; ich selbst ließ mich wieder einmal mit dem dankbaren Verkündigungskapitel aus
Joseph, der Ernährer,
auch mit den Becher- und Erkennungsszenen vernehmen und fand die beifällige Ermutigung, die Lohn und Zweck solcher mündlichen Hergabe von einigermaßen »sicheren« Stellen aus dem Werke ist, um das man sich müht. Was man an langen Vormittagen sorgsam geschmiedet, wird in rapider Lesestunde über die Hörerschaft ausgegossen, die Illusion des Improvisierten, fertig Hervorspringenden erhöht den Eindruck, und mit Hilfe der erregten Verwunderung erfreut man seinerseits sich der Illusion, daß alles zum besten stehe.

III
    Über San Francisco, wo wir ein Kinderpaar, unseren jüngsten Sohn, den Musiker, und seine anmutige Schweizer Frau besuchten und das Himmelsblau der Augen meines Lieblingsenkels, des kleinen Frido, eines bezaubernden Kindes, mich wieder einmal entzückte, kehrten wir vor Mitte Dezember nach Hause zurück, und sogleich nahm ich die Arbeit am Segenskapitel wieder auf, nach dessen Abschluß nur Jaakobs Tod und Bestattung, der
Gewaltige Zug
von Ägypten nach Kanaan noch zu schildern war. Das Jahr 1943 war erst einige Tage alt, als ich die letzten Zeilen des vierten Joseph-Romans und damit des Gesamtwerkes niederschrieb. Ein mir merkwürdiger, aber gewiß nicht übermütiger Tag, dieser 4. Januar. Das große Erzählwerk, das mich durch all diese Jahre des Exils, die Einheit meines Lebens gewährleistend, begleitet hatte, war zustandegebracht, {418} war abgetan, und ich war bürdelos, – ein fragwürdig-leichter Zustand für einen, der seit frühen Tagen, den Tagen der
Buddenbrooks,
unter einer weithin zu tragenden Bürde gelebt hat und ohne solche kaum recht zu leben weiß.
    Antonio Borgese und seine Frau, unsere Elisabeth, waren bei uns, und im Familienkreis las ich am selben Abend die beiden Schlußkapitel vor. Der Eindruck war tröstlich. Man trank Champagner. Bruno Frank, vom Ereignis des Tages unterrichtet, rief an zur Gratulation mit freundschaftlich bewegter Stimme. Warum ich »leidend, kummervoll, quälend erregt und müde« war in den nächsten Tagen, weiß Gott allein, dessen Wissen, auch über ihn selbst, wir so viel anheimgeben müssen. Vielleicht trugen der herrschende Föhnsturm und solche Nachrichten zu meiner Verfassung bei, wie daß die Nazis in idiotischer Grausamkeit, trotz schwedischer Intervention, darauf bestanden, die dreiundachtzigjährige Witwe Max Liebermanns nach Polen zu deportieren. Sie nahm Gift statt dessen … Dabei stießen russische Corps gegen Rostow vor, die Vertreibung der Deutschen aus dem Kaukasus war nahezu vollendet, und in einer starken, zuversichtlichen Rede vor dem neuen Kongreß kündigte Roosevelt die Invasion Europas an.
    Ich nahm die Kapitel-Betitelungen des vierten Bandes, die Einteilung in sieben Hauptstücke oder »Bücher« vor und las unterdessen Dinge wie Goethes Aufsatz
Israel in der Wüste,
Freuds
Moses,
das Buch
Wüste und Gelobtes Land
von Auerbach und übrigens im Pentateuch. Längst hatte ich mich gefragt, warum ich zu jenem Buch der Celebritäten nur mit einem essayistischen Vorwort, – warum nicht lieber mit einem »Vorspiel auf der Orgel«, wie Werfel sich später ausdrückte, beitragen sollte: mit einer Erzählung von der
Erlassung
der Gebote, einer Sinai-Novelle, wie sie mir als Nachklang des
Joseph
-Epos, von dem ich {419} noch warm war, sehr nahe lag: Notizen und Vorbereitungen dazu nahmen nur ein paar Tage in Anspruch. An einem Vormittag tat ich die fällige Radiosendung zum zehnjährigen Bestehen der Naziherrschaft ab und begann am nächsten Morgen die Moses-Erzählung zu schreiben, in deren XI. Kapitel ich schon stand, als, am 11. Februar, der Tag sich zum zehnten Male jährte, an dem wir – es war unser Hochzeitstag –
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