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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus
Autoren: Thomas Mann
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politisch und sozial so aktiven Agnes Meyer, für das Arrangement eines Zusammenseins mit dem Schweizer Gesandten Dr. Bruggmann und seiner Frau, einer Schwester von Henry Wallace. Der Austausch mit dem klugen und warmherzigen Vertreter des Landes, das uns fünf Jahre lang seinen Schutz geliehen, war mir lieb und wichtig. Gegenstand des Gesprächs war natürlich das dunkle Schicksal Deutschlands, seine Ausweglosigkeit, da die Möglichkeit der Kapitulation abgeschnitten schien. Das Eindringen der Russen war unserem Unterredner bereits Gewißheit.
    Bedeutender noch war mir die persönliche Begegnung mit Maxim Litwinow, den unsere Wirte uns mit seiner charmanten englischen Frau zum Lunch einluden. Diese, höchst aufgeweckt, gesellschaftlich begabt und rasch von Rede, beherrschte bei Tisch die Unterhaltung. Nachher aber hatte ich Gelegenheit, dem Botschafter meine Bewunderung auszudrücken für seine politische Haltung und Tätigkeit vor dem Kriege, seine Reden im Völkerbund, sein Bestehen auf der Unteilbarkeit des Friedens. Immer sei er der einzige gewesen, der die Dinge bei {415} ihrem rechten Namen genannt, der Wahrheit – leider vergebens – zum Wort verholfen habe. Er dankte mir mit einiger Melancholie. Seine Stimmung schien mir eher moros und bitter, – was nicht allein auf die furchtbaren Prüfungen, Opfer und Leiden zurückzuführen sein mochte, die der Krieg seinem Lande auferlegte. Mein Eindruck war, daß man ihm seine Sendung als Mittler zwischen Ost und West so schwer wie möglich mache, ja, daß seines Bleibens auf dem Botschafterposten in Washington kaum lange mehr sein werde.
    In gesellschaftlich freien Stunden suchte ich das laufende Kapitel von
Joseph, der Ernährer,
eines der letzten schon, das Kapitel der Segnung der Söhne, vorwärtszutreiben. Was mir aber auffällt und mich geheimnisvoll anmutet, ist die Lektüre, mit der ich mich auf dieser Reise, in Zügen, Abendstunden, Ruhepausen, abgab, und die, entgegen meiner sonst gepflogenen Lese-Hygiene, in gar keinem Zusammenhang mit meiner aktuellen Beschäftigung, noch mit der nächstvorgesehenen stand. Es waren die Memoiren Igor Stravinskys, die ich »mit dem Bleistift«, das heißt mit Anstreichungen zum Wiedernachlesen studierte; und es waren zwei mir längst bekannte Bücher,
Nietzsches Zusammenbruch
von Podach und die Erinnerungen der Lou Andreas-Salomé an Nietzsche, die ich in jenen Tagen, ebenfalls unter Bleistift-Markierungen, wieder durchnahm. »Verhängnisvolle Mystik, unerlaubt, oft Mitleid erregend. Der ›Unselige!‹« Das ist eine Bleistiftnotiz im Tagebuch, die von dieser Lektüre zeugt. Musik also und Nietzsche. Ich wüßte keine Erklärung für solche Gedanken- und Interessenrichtung zu diesem Zeitpunkt zu geben.
    In unserem New Yorker Hotel suchte uns eines Tages der Agent Armin Robinson auf, um uns, recht bestechend, den Plan eines nicht nur auf Englisch, sondern in vier, fünf anderen Sprachen noch zu veröffentlichenden Buches zu entwickeln, {416} das den Titel »The Ten Commandments« führen sollte. Die Idee war moralisch-polemisch. Zehn international bekannte Schriftsteller sollten in dramatischen Erzählungen die verbrecherische Mißachtung des Sittengesetzes, jedes einzelnen der zehn Gebote behandeln, und von mir wünschte man, gegen ein Honorar von 1000 Dollars, eine kurze essayistische Einleitung zu dieser Sammlung. Man ist auf Reisen leichter empfänglich für solche von außen kommenden Arbeitsvorschläge, als zu Hause. Ich sagte zu und unterzeichnete zwei Tage später in dem Bureau eines Rechtsanwalts, wo ich die ebenfalls zur Mitarbeit bereite Sigrid Undset traf, einen an Fußangeln und Widerhaken reichen Vertrag, den ich kaum gelesen hatte, und mit dem ich ewig dauernde Rechte des Unternehmers auf eine Arbeit besiegelte, die noch nicht existierte, von deren Entwicklung ich keine Vorstellung hatte, und mit der ich es weit ernster nehmen sollte, als der Anlaß forderte. Ist es leichtsinnig, »die Katze im Sack zu kaufen«, so ist, sie darin zu
ver
kaufen, noch weniger empfehlenswert.
    Das erschütternde Kriegsereignis der Versenkung der französischen Flotte vor Toulon durch ihre Befehlshaber und Mannschaften fiel in unsere von Konzert- und Theaterbesuchen, Einladungen, Freundeszusammenkünften belebten Tage, in denen es immer auch allerlei zu improvisierende Gelegenheitsarbeit gab. Die sonst recht stillen Blätter des noch aus der Schweiz stammenden Schreibheftes führen nun viele Namen an – Walters und Werfels,
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