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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Becker
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Ungewöhnliches an. Bernina beschrieb ihm, wie er zurück nach Teichdorf gelangen konnte, und bot ihm angesichts der vorrückenden Dunkelheit an, er könne die Nacht auch auf dem Hof verbringen. Schließlich schien er unbewaffnet zu sein, von seiner Erscheinung her war er eher ein Stadtmensch, auf jeden Fall niemand, der sich in einer waldreichen Gegend, in der man auf Wölfe und allerlei Gesindel treffen konnte, leicht zurechtzufinden schien. Nils hätte das nicht gebilligt, aber Bernina war nun einmal, wie sie war.
    Zum zweiten Mal an diesem Morgen öffnete sie nun die Tür zur Kammer. Inzwischen erfüllte das Licht der höher gestiegenen Sonne den dunklen Raum. Der Deckel des hölzernen Mehltrogs stand einen Spaltbreit offen. Bernina hob ihn an. In das Mehl hatte ein spitzer Finger die Worte ›Zum Danke‹ gemalt. Gleich neben den schön geschwungenen Buchstaben fanden sich ein paar Silberlinge – auch sie Ausdruck seiner Dankbarkeit, und zwar ein großzügiger.
    Vielleicht war der unverhältnismäßig hohe Betrag der Auslöser, vielleicht auch nur das stille Verschwinden des Mannes, womöglich Nils’ tadelnde Worte hinsichtlich ihrer Gutgläubigkeit – jedenfalls untersuchte Bernina ihr eigenes Haus jetzt noch einmal gründlicher: Aber da war nichts, was ihre plötzlichen Zweifel, diese sanft nagende Ungewissheit zu bestätigen schien. Keine Auffälligkeiten. Und dennoch – im Nachhinein wirkte das Auftauchen Mentiris bei Weitem nicht mehr so zufällig, wie er es dargestellt hatte. Was hatte er hier gewollt?
    Als Letztes nahm sie sich eine Truhe vor, die in der hintersten Ecke der Wohnküche stand. Sie enthielt keine Wertsachen und wurde im Grunde niemals geöffnet. Bernina hob den Deckel an, das alte Holz gab ein leises Ächzen von sich.
    Ungläubig starrte Bernina in die grob gezimmerte Truhe.
    Etwas fehlte.
    Dieser sonderbare Mentiri. Er war ein Dieb. Ein kaltschnäuziger, hinterlistiger Dieb.
    Aber nicht diese Tatsache war es, die Bernina so sprachlos machte, sondern allein das, was der Fremde mitgenommen hatte. Verwirrt schloss sie den Deckel wieder.
    Unerklärlich, es war vollkommen unerklärlich.
     
    *
     
    Zuerst hörte sie die Stimmen nicht. Sie war viel zu versunken in ihre Arbeit, vertieft in Sorgen und Grübeleien. Und voller Wut auf diesen rätselhaften Dieb namens Mentiri. Es war fast Mittag. Sie hatte Essen für den Abend vorbereitet, die Wohnküche in Ordnung gebracht, war mit diesem und jenem beschäftigt gewesen, als die gezischten Wortfetzen in ihr Bewusstsein drangen.
    Der bedrohliche Klang der Stimmen ließ Bernina aufhorchen und rasch ans Fenster treten.
    Drei Reiter. In dunklen, von Staub und Schmutz bedeckten Mänteln. Auf hochbeinigen, langmähnigen Pferden, die weite Wege hinter sich gebracht haben mussten, wie ihre dürren, vernarbten Körper zeigten. Die Gesichter der Männer wurden von Hutkrempen beschattet, aber Bernina war sich trotzdem sicher, keinem von ihnen zuvor jemals begegnet zu sein.
    Vor ihnen stand Baldus, der Knecht, der eben von der Feldarbeit zurückgekehrt sein musste. Er war ein Gnom, ein Missgebildeter, mit krummen kurzen Beinen, auf denen er sich allerdings flinker bewegen konnte, als man es ihm auf den ersten Blick zutraute. Und in seinem zu groß geratenen Schädel steckte eine erstaunliche Gewitztheit. Vor den Reitern, deren Schatten auf ihn fielen wie eine Drohung, wirkte er gleich noch winziger.
    Bernina hatte sich inzwischen zur offen stehenden Haustür geschlichen und starrte, verborgen von der schummrigen Dunkelheit des Ganges und dem schweren Holz der Tür, auf das, was sich nur ein paar Meter entfernt abspielte.
    »Bist du sicher?«, schnarrte einer der drei Reiter, die Augen bohrend auf den Gnom gerichtet. Von seiner Aussprache war nicht auf die Herkunft des Mannes zu schließen.
    Baldus nickte eifrig, bemüht um den einfältigen Gesichtsausdruck, der ihm in unbequemen Situationen bereits oft geholfen hatte.
    Der Reiter zog seinen Degen und setzte die Spitze dem Knecht auf die fleischige Nase. »Sicher?«
    Unwillkürlich hielt Bernina die Luft an, alles an ihr war angespannt. Worum ging es überhaupt? Wie konnte sie Baldus helfen?
    »Wer ist sonst noch auf dem Hof?«
    »Niemand, Herr.« Die Augäpfel des Knechtes wanderten schielend nach innen, die Degenspitze bohrte sich stärker in die Nase, aber es floss noch kein Blut.
    Die zwei anderen Reiter glitten aus den Sätteln, die Mantelschöße wehten auf. Argwöhnisch musterten sie die Fenster des
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