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Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Oliver Becker
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Sie wusste nicht, ob Nils’ Entschluss wirklich gut war – von Anfang an hatte Bernina seiner Idee mit Zurückhaltung gegenübergestanden. Andererseits hatte sie Verständnis für ihn, schließlich war er immer ein Kämpfer gewesen.
    Als sie das Hauptgebäude des Hofes betrat, das einzige gemauerte Haus, kam ihr zum ersten Mal an diesem Morgen wieder ein anderer Mann in den Sinn, dieser sonderbare Fremde. Sie brachte den Wassereimer in die Wohnküche, um dann auf die kleine Kammer am Ende des Ganges zuzugehen. Unterschlupf hatte sie dem Fremden gewährt, sich der Tatsache durchaus bewusst, dass Misstrauen angebracht gewesen wäre.
    »In Zeiten wie diesen«, hatte der Herr blumig und mit huldvoller Verbeugung seinen Dank zum Ausdruck gebracht, »ist eine helfende Hand ein höchst seltenes Gut.«
    Bernina war sich im Klaren darüber, dass andere nicht so großzügig mit einem Platz unter dem eigenen Dach gewesen wären. Allerdings hatte der Mann – was immer in Teichdorf behauptet werden mochte – nicht gefährlich auf sie gewirkt, keineswegs, ihr Gefühl hatte ihr gesagt, von ihm drohe kein Unheil, und ihr Gespür war nie ein schlechter Ratgeber gewesen.
    Sie hielt vor der schmalen Tür zur Kammer inne, die eigentlich bloß ein Verschlag war, eng und fensterlos, wo manchmal Vorräte gelagert wurden, weil es hier selbst im regnerischsten Herbst und tiefsten Winter trocken blieb. Der fremde Herr hatte auf dieser Kammer als Schlafstelle bestanden, um so wenige Umstände wie möglich zu machen. Bernina hatte eingewilligt und ihm schließlich zwei Decken gereicht, die er mit einer weiteren Verbeugung entgegengenommen hatte. Etwas umgab ihn, was Bernina seltsam vorgekommen war, sie aber irgendwie auch erheitert hatte.
    Mit dem Fingerknöchel klopfte sie jetzt zweimal gegen das rissige Holz der Tür. Doch – keine Reaktion.
    Nach erneutem Klopfen und einem kurzen Ruf öffnete Bernina den Verschlag. Dunkelheit schlug ihr entgegen, wie immer in den frühen Morgenstunden, wenn das Tageslicht sich noch nicht den Weg hierher gebahnt hatte. Der Herr, der sich Bernina mit dem ungewohnt klingenden Namen Mentiri vorgestellt hatte, war nicht mehr da war.
    Ordentlich zusammengefaltet lagen die beiden Decken auf dem gestampften Boden. Bernina roch das Mehl, das in einem Bottich aufbewahrt wurde, und das Aroma von Mentiris Duftwässerchen, über das sie sich insgeheim ein wenig amüsiert hatte. Er musste bereits vor der Morgendämmerung verschwunden sein. Bernina hatte tatsächlich nicht den geringsten Laut gehört, obwohl sie einen leichten Schlaf hatte. Offenbar verstand Mentiri sich bestens aufs Schleichen … In der Tat, ein eigenartiger Herr. Und nun war er verschwunden, ohne ein Wort des Dankes, was Bernina bei einem Menschen, der ansonsten Wert auf Manieren und Höflichkeit legte, durchaus überraschte.
    Plötzliches Hufgetrappel lenkte sie ab von Mentiris eigentümlichem Verhalten. Angespannt eilte Bernina zurück durch den Gang. Als sie ins Freie trat, machte sich Erleichterung in ihr breit.
    Nils Norby schwang sich vom Pferd. Unter dem Schlapphut quoll blondes Haar hervor, in dem eine einzelne Strähne silbergrau schimmerte. Er beugte sich hinab und untersuchte den Vorderhuf des Tieres, das den Kopf hängen ließ und an dessen Maul Schaum klebte – kein Zweifel, es hatte eine anstrengende Nacht hinter sich.
    »Mir wäre es lieber«, erklang Berninas Stimme in der Hitze des Morgens, »du würdest dich erst um deine Frau und dann um das Pferd kümmern.«
    Lachend kam er auf sie zu, sichtlich froh über ihren Scherz – so oft in letzter Zeit hatten sie nur knappe, nüchterne Bemerkungen füreinander übriggehabt. »Immerhin lahmst du nicht, meine Liebe.«
    »Das nicht gerade.« Sie rang sich ein Lächeln ab, weiterhin bemüht, ihm gute Stimmung vorzuspielen. »Oder sagen wir besser, noch nicht, Norby.« Manchmal, wenn sie ihn necken wollte, sprach sie ihn mit dem Nachnamen an. Genau wie damals, als sie sich kennenlernten, in einer schweren, überaus turbulenten Zeit. In jenen Tagen hatte dieser Schwede ihr völlig unvermutet zur Seite gestanden – und es war dennoch keineswegs Liebe auf den ersten Blick gewesen, zumindest für Bernina.
    »Ich werde das andere Pferd nehmen und noch einmal aufbrechen müssen«, erklärte er nun.
    »Schon wieder?« Zweifelnd betrachtete sie ihn. Ihm würde ein wenig Ruhe guttun, das war offensichtlich.
    »Es wäre wirklich nicht richtig, die Beine hochzulegen, wenn diejenigen, die mich als
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