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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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Sänger, er war oft auf der Burg seines ältesten Bruders in Meißen zu Gast. Ludmillus war sein Name, und er stand ganz zu Recht in dem Ruf, einer der besten Spielleute weit und breit zu sein. Kein Wunder, dass er hier beim Hoftag auftrat. Nicht ein Laut kam von den Zuschauern, die er vollkommen in seinen Bann gezogen hatte.
    Unwillkürlich richtete Dietrich seinen Blick auf Hedwig, seine heimliche Geliebte. Sie trug ein rotes Kleid mit blauem Besatz, das er besonders an ihr mochte und das so gut zu ihrem blonden Haar passte. Stumm und starr saß sie an der Seite ihres Gemahls, des Meißner Markgrafen Otto von Wettin. Dietrich, der die geheimsten Regungen in ihren Gesichtszügen zu lesen verstand, erkannte, dass sie kurz davor war, die Fassung zu verlieren.
    Man sagte, Ludmillus sei der Spielmann, der die Weinenden zum Lachen und die Lachenden zum Weinen brachte. Doch Dietrich bezweifelte, dass seine Liebste gelacht hatte, bevor der Kummer sie nun überwältigte.
     
    Hedwig war kurz davor, aufzuspringen und aus dem Saal zu laufen, damit niemand ihre Verzweiflung bemerkte. Doch solch ein Verhalten wäre unverzeihlich gewesen und hätte bloß Anlass zu Gerede und Gerüchten gegeben. Was sollte sie nur tun? Wie konnte sie es schaffen, Haltung zu bewahren?
    Als Tochter eines mächtigen Herrscherhauses – ihr Vater war Albrecht der Bär, der Markgraf von Brandenburg, gewesen – hatte sie von klein auf gelernt, stets höflich und beherrscht aufzutreten. Selbst als sie erfuhr, dass sie mit dem mürrischen, oft aufbrausenden und zwanzig Jahre älteren Otto von Wettin verheiratet werden sollte, hatte sie ihre Tränen tapfer verborgen und mit Hilfe einiger unverblümter Ratschläge ihrer Großmutter dafür gesorgt, dass ihr Gemahl schon bald nach der Hochzeit Wachs in ihren Händen war. Sie gebar ihm zwei Söhne und zwei Töchter und fand sich, so gut es ging, mit ihrem Leben an der Seite eines unbeherrschten, im Vergleich zu ihrer Herkunft unbedeutenden Fürsten ab. Erfüllung suchte sie darin, an seiner Seite mitzuregieren und Unheil zu vermeiden oder wenigstens abzumildern, das aus Ottos launenhaften Entschlüssen entstehen konnte.
    Doch dann waren zwei Dinge geschehen, die alles von Grund auf veränderten. In Christiansdorf war Silber gefunden worden, unglaublich viel Silber, und Otto reagierte schnell und vorausschauend, um die Förderung rasch in Gang zu bringen. Die Ausbeute der letzten zehn Jahre hatte ihn so reich gemacht, dass er inzwischen sogar von Fürsten beneidet wurde, die über weit mehr Land herrschten. Mit unglaublichem Prunk reiste er nun zu den Hoftagen und überhäufte seine Frau mit kostbaren Kleidern und Schmuck. Denn wie sonst zeigte man seinen Reichtum besser?
    Aber sie vermochte keine Freude mehr daran zu finden. Eine zweite, einschneidende Veränderung ließ ihr Leben aus den Fugen geraten. Nach fünfzehn Jahren Ehe mit dem wegen seiner Gicht zunehmend schlecht gelaunten Meißner Markgrafen lernte sie zum ersten Mal die Liebe kennen. Und das ausgerechnet mit dem Bruder ihres Gemahls! Sie hatte nie damit gerechnet, dass solche Gefühle sie wie ein Blitzstrahl treffen und übermannen könnten, und dennoch war es geschehen. Sie durften sich nur heimlich und unter großer Gefahr alle paar Monate bei Gelegenheiten wie den Hoftagen treffen. Einmal wären sie fast entdeckt worden. Jetzt von dem begnadeten Spielmann eine so anrührende Ballade zu hören, die von unsterblicher Liebe und alles verzehrender Sehnsucht berichtete, wühlte ihr Innerstes auf, bis sie glaubte, an ihrem Kummer zu ersticken.
    Hedwig zog den kostbaren pelzverbrämten Umhang enger um sich. Sie fror. Krampfhaft suchte sie nach einem Vorwand, nach Ende des Liedes die Halle verlassen zu können, ohne Verdacht zu wecken, und richtete den Blick schon zur Tür.
    Mitten in der Bewegung erstarrte sie. Da stand Dietrich, der genau zu ihr sah, betroffen und beschwörend. Hastig drehte sie sich wieder nach vorn. Zum Glück hatte der Spielmann seinen Vortrag gerade beendet und verbeugte sich vor seinem vornehmen Publikum. Otto erhob sich, ging zu ihm und legte Ludmillus mit generöser Miene seinen kostbaren Umhang über die Schultern. So zeigte ein Fürst seine Anerkennung für einen Sänger, der seiner Gattin so trefflich die Minne erwiesen hatte!
    Dietrich nutzte das entstehende Gedränge, um sich zu seinen Brüdern durchzuarbeiten. Er begrüßte Hedwig mit aller gebotenen Höflichkeit eines Schwagers, dann bat er sie, Otto und seinen
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