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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Alexander Kent
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aus, bereit zu allem.
    »Soll ich jetzt den Backbordkutter zu Wasser lassen, Sir?«
    fragte Tyrell.
    Bolitho nickte. Nur wenn sie die Kutter abwechselnd zu Wasser ließen, konnten sie hoffen, sie vor dem Austrocknen zu bewahren.
    »Ja. Sagen Sie Mr. Tilby, er soll ...« Er hielt inne und korrigierte sich: »Sagen Sie dem Bootsmann Bescheid, bitte.« Selbst nach sechs Monaten war es noch schwierig, seinen Namen nicht auszusprechen oder zu erwarten, sein schweißbedecktes Gesicht nach dem Achterdeck ausschauen zu sehen.
    Sie hatten vor der Great Bahama Bank einen spanischen Schoner gestellt, waren aber gezwungen gewesen, auf ihn zu feuern, da er sich nicht ergeben wollte. Dann, während die Enterhaken wie Schlangen durch die Luft flogen, war die Sparrow in altbewährter Art längsseits gegangen. Dieses Manöver war so gut eingeübt, daß es auch von den neuen Männern ohne weiteres bewältigt wurde. Einige Pistolenschüsse, der Anblick der halbnackten Männer mit gezogenen Entermessern, dies genügte, um den Widerstand der Spanier zu brechen, und alles war vorbei, fast ehe es begonnen hatte. Irgendwann mitten in diesem Manöver, als die Männer hin und her rannten, um Segel zu reffen und sich zum Entern fertigzumachen, während Bolitho mit dem Arm winkte, um den spanischen Kommandanten zur Übergabe ohne Blutvergießen zu bewegen, war Tilby gestorben.
    Nicht in der Hitze und im Schrecken des Gefechts oder in einer feindlichen Breitseite, sondern ruhig und ohne Umstände, während er an seinem Lieblingsplatz am Fuß des Fockmasts stand, von wo aus er gewöhnlich ein wachsames Auge auf das Schiff hatte. Dalkeith hatte ihn untersucht und berichtet, daß das Herz des Bootsmannes ausgesetzt hatte wie eine Uhr, die abgelaufen ist und einfach nicht mehr weiterkann.
    Sein Tod beeindruckte alle tief, die ihn gekannt hatten. So zu sterben war undenkbar. Tilby, der Seeschlachten und unzählige, durch Trunkenheit verursachte Schlägereien in Hafenkneipen der ganzen Welt überstanden hatte, war hinübergeglitten, ohne daß jemand es bemerkte.
    Als Tyrell Tilbys Besitztümer zusammengesucht hatte, war Bolitho bestürzt, daß kaum etwas vorhanden war, was man unter der Mannschaft hätte versteigern können, um Geld für die Angehörigen zu sammeln, die er vielleicht in England hatte.
    Zwei kleine Holzmodelle von Schiffen, auf denen er früher einmal gedient hatte, eines davon zerbrochen, eine Sammlung ausländischer Münzen, eine silberne Bootsmannspfeife, die ihm kein geringerer als Kapitän Oliver von der Menelaus überreicht hatte, wo er als Bootsmannsmaat gedient hatte.
    Armer Tilby, er hatte nicht einmal gelernt, seinen eigenen Namen zu schreiben, und seine Sprache war die meiste Zeit auf das Notwendigste beschränkt gewesen. Aber er kannte sich mit Schiffen aus, und er kannte die Sparrow wie sich selbst.
    Harry Glass, der dienstälteste Bootsmannsmaat, war an seine Stelle befördert worden, aber wie die meisten anderen konnte auch er es kaum fassen, daß er nun nicht mehr abhängig war von Tilbys brummiger Stimme und seinem stets wachsamen Auge.
    Als Bolitho beobachtete, wie der Kutter aus seinen Klampen auf dem Geschützdeck gehievt wurde, fragte er sich, ob sich an Land überhaupt jemand um Tilby grämte.
    Er berührte die sonnendurchglühte Reling und schauderte. Er war jetzt Kapitän; ein Traum, den er geträumt hatte, seit er denken konnte, hatte sich erfüllt. Wenn nun der Krieg plötzlich zu Ende ginge, oder er durch andere Umstände gezwungen würde, die Marine zu verlassen, dann würde er von seiner jetzigen Position stürzen wie ein fallender Stein. Da er noch nicht in seinem höheren Rang bestätigt war, würde er als einfacher Leutnant auf Halbsold enden, und all dies wäre nur noch höhnische Erinnerung. Aber viel schlechter waren jene wie Tilby dran. Er ließ seine Augen über die Männer streifen, die in seiner Nähe an den Brassen arbeiteten, um die Sparrow wieder in den Wind zu bringen. Sie besaßen überhaupt nichts. Wenn sie Glück hatten, ein bißchen Prisengeld, vielleicht eine Prämie von einem wohlgesinnten Kapitän, sonst mußten sie sich mit weniger an Land begeben, als sie bei Dienstantritt gehabt hatten. Das war ungerecht. Mehr noch, es war unehrenhaft, Männer so schäbig zu behandeln, wenn ohne deren Einsatz und Mut das Heimatland schon Jahre zuvor an den Feind gefallen wäre.
    Er begann über Deck zu gehen, das Kinn auf die Brust gepreßt. Vielleicht würde man dies eines Tages ändern können und
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