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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi
Autoren: Paolo Giordano
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auch Michela gesessen hatte, die Dosen auf dem Tisch zu einem Turm aufeinandergestapelt. Laut ging es zu, und einer der Jugendlichen imitierte jemanden und drehte dabei mächtig auf.
    Während sie an ihnen vorüberging, versuchte Alice, etwas von ihren Gesprächen aufzuschnappen, aber bevor man auf sie aufmerksam wurde, war sie schon weiter und lenkte ihre Schritte zum Fluss. Seit die Stadtverwaltung beschlossen hatte, den Damm ganzjährig zu öffnen, floss an dieser Stelle kaum noch Wasser. In den länglichen Pfützen schien der Fluss still zu stehen, wie aufgegeben, erschöpft. Doch an warmen Tagen brachten die Leute Liegestühle von zu Hause mit und nahmen dort unten ein Sonnenbad. Der Untergrund bestand aus weißem Kies und feinem, gelblichem Sand. Das Gras an den Ufern stand hoch und reichte Alice bis zu den Knien.
    Vorsichtig, bei jedem Schritt darauf achtend, dass der Grund nicht nachgab, kletterte sie die Böschung bis zum Wasser hinunter. Vor ihr lag die Brücke und dahinter das Profil der Alpen, die an klaren Tagen, so wie heute, zum
Greifen nahe schienen. Nur die höchsten Gipfel waren noch verschneit.
    Alice streckte sich auf dem trockenen Kiesbett aus. Ihr lahmes Bein dankte es ihr, indem es sich entspannte. Sie ließ sich nicht davon stören, dass ihr die größeren Steine in den Rücken stachen, und rührte sich nicht.
    Sie schloss die Augen und versuchte, sich das Wasser vorzustellen, über ihr und ganz um sie herum. Sie dachte an Michela, wie sie sich am Ufer vorgelehnt hatte. An ihr rundliches Gesicht, das sie in den Zeitungen gesehen hatte, wie es von der silbernen Wasserfläche gespiegelt wurde. An den dumpfen Schlag, den niemand hören konnte, und an ihre mit eiskaltem Wasser vollgesogenen Kleider, die sie in die Tiefe zogen. An ihre wie dunkle Algen hin und her wallenden Haare. Sie sah sie zappeln und mit den Armen fuchteln und von dieser eiskalten Flüssigkeit schlucken, in der sie tiefer und tiefer sank, fast bis zum Grund.
    Dann stellte sie sich vor, wie Michelas Bewegungen geschmeidiger wurden, koordinierter, ihre Arme immer deutlicher große Kreise beschrieben, ihre Füße sich wie Flossen streckten und im Gleichklang bewegten, sich ihr Kopf nach oben richtete, dorthin, wo noch etwas Licht einfiel. Sie sah, wie Michela zurück zur Wasseroberfläche gelangte und endlich wieder atmen konnte. Und dann folgte sie ihr, wie sie schwamm und schwamm, mit der Strömung, zu einem neuen Ziel. Die ganze Nacht, bis zum Meer.
    Als Alice die Augen öffnete, stand immer noch ein strahlender, eintönig blauer Himmel über ihr. Kein Wölkchen überquerte ihn.
    Mattia war weit fort. Fabio war weit fort. Schwach und verschlafen rauschend, strömte der Fluss vorüber.

    Sie erinnerte sich, wie sie unter dem Schnee begraben in der Rinne lag. Sie dachte an diese vollkommene Stille. Damals wie heute wusste niemand, wo sie war. Auch diesmal würde niemand kommen. Aber sie wartete auch nicht mehr.
    Sie lächelte hinauf zum klaren Himmel. Mit ein wenig Mühe schaffte sie es jetzt auch alleine aufzustehen.

Danksagung
    Ohne Raffaella Lops würde es dieses Buch nicht geben.
     
    Ich danke, in beliebiger Reihenfolge: Antonio Franchini, Joy Terekiev, Mario Desiati, Giulia Ichino, Laura Cerutti, Cecilia Giordano, meinen Eltern, Giorgia Mila, Roberto Castello, Emiliano Amato, Pietro Grossi und Nella Re Rebaudengo. Jeder von ihnen weiß, wofür.

Kazuo Ishiguro
    BEI ANBRUCH DER NACHT
     
    Erzählungen
Aus dem Englischen von Barbara Schaden
    ISBN 978-3-89667-409-8
     
     
     
     
    Noch bevor er als Autor zu Weltruhm gelangte, war Kazuo Ishiguro fasziniert von der Musik und ein passionierter Gitarrist. Jetzt hat er ihr eine Liebeserklärung geschrieben und erzählt in fünf Geschichten, wie sie die Menschen zueinander führt, Enttäuschungen zu überwinden und menschliche Schwächen zu verzeihen hilft. Ein betörender Erzählzyklus, der auf eindrucksvolle Weise die Schicksale seiner Figuren mit ihrer Liebe zur Musik verknüpft.
     
     
    Kazuo Ishiguro zählt zu den hochrangigen Autoren.
    NEUE ZÜRICHER ZEITUNG
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Karl Blessing Verlag

Ulrich Schnabel
    DIE VERMESSUNG DES GLAUBENS
     
    Forscher ergründen, wie der Glaube
entsteht und warum er Berge versetzt.
    ISBN 978-89667-364-0
     
     
    Immer wieder wird die Religion totgesagt, aber nach wie vor wirkt sie wie eine starke Arznei. Sie entfaltet heilsame Kräfte - mitunter jedoch auch verheerende Nebenwirkungen. Zum Glück gibt es nun den
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