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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe
Autoren: Will Berthold
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Lufthansa. »Ich konnte dich nicht an deinen Beinen erkennen. Entweder lassen meine Augen nach, oder es gibt zu viele hübsche …«
    »Das muß ja richtig beinlich sein für einen Mann«, erwiderte die Stewardess lachend und ging weiter.
    Der Jet donnerte über die Zementpiste, die Schnauze bohrte sich schräg in den Himmel, die Boeing ging auf Kurs.
    Keiner meiner Mitreisenden trug ein bekanntes Gesicht.
    Ich war ziemlich sicher, nicht beschattet zu werden.
    Seit gut zehn Jahren sammelte ich diesbezügliche Erfahrungen, so häufig, daß ich zu einem As der industriellen Spionage-Abwehr geworden war.
    Über die Schlachten dieser heißen Front schweigen die Zeitungen, denn es kommt fast nie zu Gerichtsverhandlungen. Falls man aber doch über die Täter in den weißen Hemden zu Gericht sitzt, kommen oft lächerliche Strafen heraus.
    Die Situation will es, daß die Justiz mit veralteten Gesetzen gegen den modernsten Zweig des Verbrechens vorgeht. Während den Männern auf der Anklagebank ein ganzes Arsenal raffinierter elektronischer Erfüllungsgehilfen zur Verfügung steht, kämpft Justitia noch immer mit Pfeil und Bogen.
    Alljährlich werden zwischen den Alpen und der Nordsee an die 50.000 Wanzen verkauft, wie man die Abhörgeräte nennt: Es gibt in Kugelschreiber eingebaute Mikrofone, ganze Spionage-Koffer, Wanzen im Aschenbecher, Hochleistungs-Mikrofone mit einer Betriebsdauer von 150 Stunden auf eine Entfernung von 250 Metern. Mehr als zwei Dutzend Händler haben sich auf den Verkauf von Mini-Spionen spezialisiert und sichern sich durch das Kleingedruckte ab:
    DER BESTELLER WIRD DARAUF HINGEWIESEN, DASS IN DER BUNDESREPUBLIK MIKRO-ELEKTRONIK-GERÄTE OHNE EXPORT- UND AUSFUHR-NACHWEIS ERWORBEN, JEDOCH NICHT IN BETRIEB GENOMMEN WERDEN DÜRFEN.
    Auf deutsch heißt das: Wasch mich, aber mach mich nicht nass.
    Und so kam zum Beispiel Bundesanwalt Felix Kaul zu der Feststellung, daß die ehrenwerten Diebe heute in der Lage sind, ›das gesamte wissenschaftliche und technische Potential der Bundesrepublik auszuforschen‹.
    Schon bei einem meiner ersten Aufträge – die deutsche Tochterfirma eines US Chemie-Giganten hatte sich an mich um Hilfe gewandt – stellte ich fest, daß durch den Diebstahl eines neuen antibiotischen Medikaments dem Konzern ein unwiederbringlicher Schaden von hundert Millionen Dollar entstanden war.
    Seitdem hetzten mich die Aufträge.
    Ich reiste kreuz und quer.
    Meine Spesen waren üppig, doch Geld interessierte mich weniger als ein gespenstisches Phänomen unserer Zeit. Eine Seuche ansteckend wie die Pest, grassierend unter dem Motto: Die Konkurrenz schläft nicht, die Konkurrenz spioniert.
    Ich stieß auf eine russische Denkschrift, in der behauptet wurde daß die westliche Welt an der Industrie-Spionage zugrunde gehen würde.
    Ich erlebte aber auch, daß auf Kongressen Amerikaner und Russen Schulter an Schulter gegen den Verrat ihrer technischen, elektronischen, chemischen und biologischen Geheimnisse kämpften.
    Ich will mich nicht bescheidener geben als ich bin: In dieser unsichtbaren Drecklinie wurde ich zu einer Kapazität, fast zu einer Institution. Ich machte Fabrikmauern undurchsichtig, ich beriet die Unternehmer, wie sie Forschungslabors gegen die Außenwelt abschirmen, wie sie Experimentier-Werkstätten schalldicht und kamerablind machen könnten.
    Bei allen meinen Fällen stand ich auf dem Boden des Gesetzes, auf der Seite der Bedrängten.
    Wenn ich auch bei der Wahl meiner Methoden nicht gerade zimperlich bin – ein bißchen Michael Kohlhaas ist immer dabei.
    Mein seltsamer, selbstgewählter, faszinierender und verdammter Beruf forderte mir freilich eine harte Diät vom Leben ab: Keine Familie. Wenig Freunde. Noch weniger Frauen und für die wenigen Freunde und noch weniger Frauen am wenigsten Zeit.
    Wir flogen mit Rückenwind, eine Schönwetterbrücke trug uns, sechs Minuten vor der Zeit landeten wir in Köln-Wahn.
    Ich verabschiedete mich mit sanftem Bedauern von Ellen, stapfte durch die Sperre und erkannte unter den Wartenden den Fahrer von Siebener.
    Er ging stumm voraus, ich folgte ihm.
    Er hielt den Wagenschlag, er wußte, daß ich vorne neben ihm Platz nehmen würde, und erst als ich mich gesetzt und die Tür geschlossen hatte, begrüßte er mich: »Guten Tag, Herr Fabian.«
    Er sprach kein Wort mehr auf der Fahrt nach Bonn.
    Er bog in den Hof des Ministeriums ein, stieg aus:
    »Ich darf Sie zum Herrn Ministerialrat …« lud er mich ein.
    Der Mann geleitete mich nicht
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