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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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Wie viel verlangte man? Schon die Frage allein ließ mich darauf schließen, bei Sonja Weber habe Geld nicht die Lizenz zur unbegrenzten Vermehrung. Ihre Kleidung war Kaufhauskonfektion, sie trug keinen Schmuck, kein Chanel-Odeur wehte zu mir hinüber und erotisierte mich, kurz:
    „300“, sagte ich und hoffte, Sie würde nicht fragen, ob denn pro Stunde, pro Tag, pro Monat oder pauschal.
    Sonja Weber fiel buchstäblich in sich zusammen, als hätte sie es schwer im Kreuz und an den Bandscheiben.
     
     
    5
    Es ist nun einmal so: Ich kann keine Menschen mit Geldsorgen sehen, ohne sofort wütend zu werden, deshalb schaue ich morgens auch nicht in den Spiegel. Ok, um nicht wütend zu werden, dürfte ich das Haus niemals verlassen, keinen Fernseher, kein Radio einschalten, nicht im Internet surfen, nicht durch die dünne Wand zuhören, wenn in der Nebenwohnung wieder die Halbwüchsige quengelt, weil sie die Klamotten aus dem „Sozialkaufhaus“ nicht anziehen mag. Nein, ich bin nicht gerne wütend, es bringt nämlich nichts. Was soll man tun? Den Sozialismus ausrufen? Vergiss es. Bomben basteln? Dazu fehlt mir das Talent. Beim nächsten Charity-Empfang aufgespritzte Tussen mit Silikonbeuteln bewerfen? – Hm, mal drüber nachdenken.
    Ich wurde also wütend, als Sonja Weber bei der Vorstellung an drei hinzublätternde Hunderter sekundenschnell zerwrackte, ihre Statik verlor und deformiert über der Kaffeetasse hing, so dass ich um deren Heil ernsthaft fürchten musste. Sollte ich behaupten, wir hätten ab Montag „Schnuppertage“ in der Detektivbranche und ich gewähre ihr den für diese Zeit vorgesehenen Rabatt von, sagen wir, 20, nein 30, nein 50 Prozent kulanter Weise im Voraus? Sie sah nicht so aus, als könnte sie auch nur 150 bezahlen. Also sagte ich in meiner unendlichen Menschenfreundlichkeit:
    „Das ist natürlich Erfolgshonorar. Wenn ich Ihren Bruder nicht finde respektive er von sich aus wieder auftaucht, berechne ich selbstverständlich nichts.“
    Das brachte sie, ebenfalls in Sekundenschnelle, wieder in den Zustand stolzen Frauentums zurück. Ihr Oberkörper richtete sich auf, straffte sich, die gute Nachricht ritzte ihr ein Lächeln ins Gesicht, sie sagte: „Oh danke, das kann ich doch nicht annehmen. Aber ich tue es.“
    Ich begann mir eine Zigarette zu drehen, Sonja schielte nach dem Fenster, ich nickte, Sonja stand auf und öffnete das Fenster.
    „Vor drei Tagen bin ich hier angekommen“, setzte Sonja ihren Bericht fort, „aber mein Bruder war nicht daheim. Die Hauswirtin kennt mich, sie hat mich reingelassen, alles sah aus wie immer, nur die Post lag hinter der Tür. Die Post von einer Woche. Natürlich dachte ich, hm, der ist verreist. Bei seiner Firma wusste man nichts davon. Hatten selbst schon versucht, ihn zu erreichen.“
    „Und sonst nichts? Ich meine... wenn sich ein Angestellter einfach so in Luft auslöst, ohne Entschuldigung, ohne Info...“
    „Kam mir auch komisch vor“, bestätigte Sonja, und weil es uns beiden komisch vorkam, dachten wir eine Weile still darüber nach.
    „Gestern war ich dann bei der Polizei. Vermisstenanzeige. Die haben das nicht ernst genommen. Erwachsener Mann und so, aber sie würden mal bei den Krankenhäusern nachfragen. Dabei passt das alles nicht zu meinem Bruder. Er ist ein Pedant. Ein zuverlässiger Mensch. Ein Kontrollfreak.“
    „Ein Langweiler“, fasste ich zusammen.
    „Ja“, lächelte Sonja, „früher hab ich ihn Nachts angerufen, wenn ich nicht schlafen konnte, und nach zwanzig Minuten konnte ich’s dann ohne Tablette.“
    Ich wagte ihr nicht zu sagen, dass sie mir damit eine weitere Karriere eröffnet hatte, falls die als Detektiv scheitern sollte, wovon auszugehen war. Ich bin so langweilig, dass jemand, der zwanzig Minuten mit mir am Telefon übersteht, schon ziemlich tot sein muss.
    „Sie sind meine einzige und letzte Chance“, sagte Sonja Weber jetzt. „Werden Sie den Fall übernehmen?“
    „Ich übernehme mich ständig“, antwortete ich, „aber Sie müssen mir alles erzählen. Warum sind Sie hier und nicht in Ihrem idyllischen Städtchen?“
     
     
    6
    Die Frage war indiskret und schon während ich sie stellte, schämte ich mich dafür. Aber ich besaß die Macht, Sonja Weber indiskrete Fragen zu stellen, eine banale Folie hatte sie mir erteilt. Das steckte wahrscheinlich sowieso hinter der ganzen Geschichte: nicht Menschenliebe, nicht Langeweile oder sonst was, sondern Voyeurismus und ein bisschen Machtgeilheit, das übliche
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