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Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung (German Edition)
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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herrenloser Koffer, das sei sofort dem Innenminister zu melden, der schicke dann die Bundespolizei. Es war kein herrenloser Koffer, es war nur ein Betrunkener. Das merkte man, wenn man dagegen trat, denn Koffer fluchen nicht, sie explodieren höchstens. Es klang wie „Leck mich am Arsch“ und war, wenn der wirklich „Leck mich am Arsch“ gesagt hatte, das rhetorische Highlight einer stundenlangen Konversation, deren kulinarischer Höhepunkt wie immer die frische und noch dampfende Fleischwurst des Metzgers gewesen war, von diesem aus der nahen Wurstküche geholt, wo der faule Geselle sie kochte – es musste halb vier gewesen sein – und ohne Brot verzehrt, denn der Bäcker war schon gegen Zwei gegangen, sein Handwerk wollte es so und niemand hatte Lust, die drei Straßen zur Bäckerei zu gehen, um warme Wecken für die Wurst zu erbitten. Lothar, der Wirt, kokettierte mit altbackenem Brot, wir lehnten dankend ab.
    Über was wir sprachen? Über alles. Wir sprachen über „die Lage“, selbstverständlich sprachen wir über sie und hatten uns, auch normal, wieder gestritten. „Die Lage“ sei wie immer (darin waren wir uns einig), also zufriedenstellend oder katastrophal oder undurchschaubar oder „doch wohl klar“. Darin unterschieden sich die Meinungen, aber das war, noch einmal, normal gewesen. Gegen zwölf hatten wir, auch wie immer, sowieso alles wie immer, unsere Weltvernichtungsphantasien, aushungern müsse man das Pack, nein, endlich mal die Atombomben einer nützlichen Verwendung zuführen, schade ums Viehzeug, schade um den schönen Planeten. Wir sind Humanisten und plädierten für schmerzfreie Selbstausrottung, einfach mal überall den Strom abschalten, dann erfrieren sie, geht schnell und macht keine Unordnung, eh keiner mehr da, der den Dreck weg kehrt . Gegen Eins hatten wir auch diesen Punkt abgehakt und besprachen die käuflichen Frauen unseres Viertels, ein paar Thais und ein paar aus dem Osten, aber nein, wir blieben sitzen und sparten unser Geld, Kopfkino hatte einfach ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis.
    Es war Viertel vor zwölf, keine 4 Stunden Schlaf lagen hinter mir, aber ich schlafe nie lange, wenn ich betrunken bin. Ich begab mich ins Licht. Es war trübster Winter, es stank, es bewegte sich, es ging mir aus dem Weg, es schlug mir Wind um die Ohren, mein linker Schnürsenkel fegte über den Asphalt, der Schuh kletterte am Fersenbein hoch und wieder runter, ich würde mir eine Blase laufen. Ich holte mir zwei Brötchen. Drehte um und lief zurück. Ich stand vor der Haus, in dem ich wohne, es war wie immer, es war ganz anders, ich wusste nicht was, denn eine hübsche junge Frau ging an mir vorbei ins Treppenhaus, ich sah ihr nach, blieb stehen, dachte: Hier stimmt was nicht. Ich hatte Recht. Neben der Tür hing ein goldenes Schild, noch nie hatte hier ein Schild gehangen, schon gar keins, auf dem in schwarzer Prägeschrift stand:
    „Moritz Klein, Detektiv. Untersuchungen aller Art“
    Ich heiße Moritz Klein. Ich wohne hier. Ich bin kein Detektiv, ich untersuche nie etwas, weder meinen Urin noch die Weltgeschichte. Und das Schild war gar kein Schild, es war goldfarbene Abziehfolie. Die Erinnerung kam zurück. Ich fluchte „Leck mich am Arsch“ und riss die Folie mit einem Ruck von der Wand. Sie leistete keinen Widerstand. Drecksqualität.
     
     
    2
    Als ich, die zerknüllte Folie noch in der Rechten, die Treppen zu meiner Wohnung erstieg, tappte ich gleichzeitig durch einen Nebel kondensierter Ausdünstungen, dessen Schwaden sich langsam hinweghoben. Vier Säufer auf dem Heimweg. Ich sah uns nach durchzechter Nacht durch die Straßen wanken, Satzfragmente wie „Na, du hast’s gut, du hast ja keine geregelte Arbeit“ klangen mir in den Ohren. Wie immer machte man sich lustig über meine prekäre Existenz, wie das jetzt wohl heißt, „hast du überhaupt was gelernt?“, fragte der Metzger und gab sich selbst die Antwort: „Nee, also siehst du.“
    Etwas wurde getuschelt, von Natur aus dreckiges Lachen ertönte wie aus Jauchegruben, jemand zog mich am Arm. Ich stolperte über eine Schwelle, es roch nach irgendwas, das ich noch nie gerochen hatte, das kalte Licht von Leuchtröhren flackerte auf – ich stand im Verkaufsraum von Lüdemanns „Beschriftungen aller Art“, jener elenden Existenzgründerklitsche, in der zudem Schlüssel nachgemacht wurden und Schuhe besohlt, wahrscheinlich auch Lottoscheine angenommen und fünfzehnjährige Schulmädchen verhökert. Lüdemann
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