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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon
Autoren: David Tanner
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Gesicht und trank. »Schmeckt gut. Aus China? Gar nicht schlecht.«
    »Wen kennst du in Arcachon?«, fragte Kirchner.
    Der Vater schwieg und überlegte, nippte am Kaffee, dann sagte er, langsam, nach einer Weile, in der sich die beiden angeschwiegen hatten: »Der Sohn vom alten Bouchot arbeitet doch da unten, weißt du, der Biologe, Pierre. Der ist bei irgendeinem Meeresforschungsinstitut, ja, ja, das ist so, der ist in Arcachon.«
    »Großartig, besorg mir bitte die Nummer, George. Das ist genau, was ich brauche.«
    »Was ist denn los?«
    »Ich hatte einen Anruf von Pelleton. Der Finanzminister ist tot aus dem Meer gefischt worden. Da kommt mir ein Meeresforscher gerade recht.«

II.
    K irchner stieg wieder hinauf in sein Schlafzimmer, um zu packen. Es war immer schwer zu sagen, wie lange er unterwegs sein würde. Diesmal rechnete er fürs Erste mit einer Woche und sammelte routiniert Wäsche und Hemden, Hosen und Jacken zusammen.
    Er war ein Reisender, seitdem er denken konnte, unterwegs in allen Ecken der Welt. Seine Reporterkarriere hatte begonnen, als er Ende der 1970er-Jahre den russischen Krieg in Afghanistan für Paris Match beschrieben hatte, in preisgekrönten Reportagen, die vom Leben und Sterben der Mudschaheddin im Pandschir-Tal erzählten und später vom furchtbaren Rückzug der sowjetischen Truppen über den Salang-Pass.
    Damals wurde er, ein junger Mann noch und keine zwanzig Jahre alt, schon zum Grand Reporter, er wurde gefeiert und galt eine Zeit lang als der bestbezahlte Schreiber der Branche. Als Chefreporter wechselte er bald von Paris Match zu Le Monde und fand sich in den Jahrzehnten seither regelmäßig an den Schauplätzen der Weltgeschichte wieder, in Berlin und Moskau, in Jerusalem und Bagdad, in Peking und New York. Er war ein journalistischer Sondergesandter, dessen Erfolg darin bestand, den gebrechlichen Zustand der Welt in ruhige Worte zu fassen.
    Immer hatte er es als Glück empfunden, so hart am Wind der Zeit zu segeln. Er sagte von sich selbst, er sei letztlich nur ein »bezahlter Zeitzeuge«, und diese Bescheidenheit war nicht gespielt. Er meinte es so, und seine Leser bewunderten ihn für seinen Mut, die Beharrlichkeit und eine Sprachmacht, in der sich seine Bescheidenheit durchaus spiegelte. Kirchner genoss die Anerkennung, zu Kopf gestiegen war sie ihm nicht. Er wusste, wie flüchtig aller Ruhm auf Erden war, und vor allem hatte er in all den Jahren draußen in der Welt nie vergessen, wo er hingehörte. In den Kriegsgebieten, in den Krisenregionen träumte Kirchner manchmal von der Normandie, von seiner Region Calvados, von den Wiesen, vom Meer, und danach erwachte er, wo auch immer er war, mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
    Sein Leben war reich an Prüfungen. Er hatte den Tod und seine Gesichter auf seinen Fahrten kennengelernt, ihm war der Teufel in Menschengestalt begegnet. Manchmal war er selbst nur um Haaresbreite davongekommen. Aber die Gefahren schreckten ihn nicht, er fühlte sich, konfrontiert mit ihnen, immer nur wie ein Rad im Weltgeschehen und hatte das Talent, kein Ereignis persönlich zu nehmen.
    Nie aber würde er den Tag vergessen, als er während des Falklandkrieges der Briten mit den Argentiniern gerade über den Untergang der Belgrano berichtete und ein englischer Funker ihn mit seinem Vater verband, der ihm vom Tod der Mutter daheim erzählte, von dem Milchlaster, der sie und ihren blauen Renault 5 am Kreisel zwischen Osmanville und Isigny zermalmt hatte.
    »Jeanne ist tot.« Dieser erste Satz des Vaters hatte sich ins lärmende Chaos des Funkverkehrs gemischt wie ein verirrtes Telegramm, und in den Kriegswirren um die Falkland-Inseln dauerte es vier quälende Tage, ehe Kirchner die Heimreise endlich antreten konnte.
    Der entsetzliche Widerspruch zwischen den welthistorisch bedeutsamen Toten auf dem sinkenden Kriegsschiff und dem banalen Verkehrsunfall, der ihm die Mutter genommen hatte, und auch das Gefühl der Schuld, im falschen Augenblick am falschen Ort zu sein, großspurig durch die Welt zu hetzen, statt sich um die kleineren, aber wesentlichen Dinge zuhause zu kümmern, ließen ihn damals an vielem zweifeln. Er hatte alles hinwerfen wollen, der Journalismus kam ihm sinnlos und zynisch vor, seine eigene Rolle darin beliebig und austauschbar.
    Fast ein ganzes Jahr hatte er gebraucht, um wieder Tritt zu fassen, und am Ende war es sein Vater, der ihn zum Weitermachen ermunterte. Mit dem größten Kompliment, das ihm je ein Leser gemacht hatte. Der Vater
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