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Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)

Titel: Die dunklen Farben des Lichts (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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musste nur einen Weg finden, um sich abzusichern. „Dieser Vorschuss. Wie schnell würde das gehen?“
    „Schnell“, sagte Verhoeven. „Diese Woche.“
     
     

4
     
     
     
    In der Nacht war frischer Schnee gefallen. Die Ampel schaltete um, Henryk umklammerte seine Ledertasche und hastete auf die andere Straßenseite. 
    Verhoevens Galerie lag im Brüsseler Viertel Schaerbeek, nicht weit entfernt von der Eglise St. Marie. Jugendstilfassaden säumten die Rue de la Ruche, eine Seitenstraße der eleganten Avenue Louis Bertrand. Henryk spähte durch die großen Fenster. Sonnenlicht fiel ins Innere und teilte das Gemälde an der gegenüberliegenden Wand in zwei Hälften. Er zögerte und beobachtete die Spiegelbilder der Krähen, die auf der anderen Straßenseite im Schnee herumpickten. Nach einer kleinen Ewigkeit setzte er sich wieder in Bewegung, stieg die Stufen hinauf und betrat den Ausstellungsraum. Eine Frau stand hinter dem Empfangstresen, jung, mit hochgestecktem Haar.
    „Hallo“, sagte er.
    „Herr Grigore“, begrüßte sie ihn. „Paul wartet schon auf Sie. Kommen Sie gleich mit?“
    Er betrachtete ihren Nacken, während sie vor ihm herging, die Härchen, die sich im Licht krümmten.
    Verhoevens Büro lag im ersten Stock. Die Treppenstufen knarrten unter seinem Gewicht. Es roch nach Bienenwachs und Farbe. An den Wänden hingen gerahmte kleine Porträtzeichnungen.
    Verhoevens Assistentin schloss eine Tür auf. Sie benutzte eine Magnetkarte, ein seltsamer Anachronismus in diesem Haus.
    Irgendwo klapperte Geschirr. Kaffeeduft hing in der Luft.
    Henryk beschlich das Gefühl, in eine fremde Wohnung einzudringen, ohne geklopft zu haben. Die Frau bat ihn zu warten und verschwand hinter einer der doppelflügeligen, weiß gestrichenen Türen, die vom Korridor abzweigten.
    Henryk betrachtete die Bilder an der Wand, Stillleben und Landschaftsszenen, frühes neunzehntes Jahrhundert. Leicht beugte er sich vor, um eine Signatur zu entziffern. Er hatte nicht gewusst, dass Verhoeven auch mit alten Meistern handelte. Die Nervosität, die ihn überfallen hatte, draußen vor den Treppenstufen, verflog. Er lächelte, als er sich dessen bewusst wurde.
    „Kommen Sie?“
    Er drehte sich um. Die junge Frau erwiderte sein Lächeln, obwohl es gar nicht ihr gegolten hatte.
     
     
     
    Martha Haussen war nicht so, wie er sie sich vorgestellt hatte. Sie sah aus wie eine Mathematikerin. Das war es, was ihm zuerst in den Sinn kam. Vielleicht, weil alles an ihr so klar definiert wirkte. Ihre sparsamen Bewegungen, als sie aufstand, um ihm die Hand zu reichen. Ihr Händedruck war kühl und fest. Henryk betrachtete ihre Finger, die mehr über ihr Alter aussagten als ihr Gesicht. Schmal waren sie, aber kantig, die Haut ein Netz aus Poren und Fältchen.
    Verhoeven gab sich zurückhaltend in ihrer Gegenwart. Seine Gestik, seine Worte wirkten gedämpft. Henryk fiel auf, wie er um Formulierungen rang, um die Eleganz seiner Besucherin zu reflektieren.
    „Ich möchte, dass Sie ein Bild für mich malen“, sagte Martha Haussen. „Das hat Ihnen Paul schon erklärt, nicht wahr?“
    Henryk nickte.
    „Kennen Sie das Brieflesende Mädchen am offenen Fenster ?“
    Er musste lächeln.
    Martha legte den Kopf schräg. Ihre Beine in den grauen Stoffhosen hatte sie übereinander geschlagen. „Was ist so amüsant?“
    „Jeder, der Vermeer kennt, kennt dieses Bild.“
    Ihre Augen wurden schmal. Henryk fing einen Blick Verhoevens auf. Er begriff, dass er sie brüskiert hatte. „Tut mir leid, das war nicht böse gemeint. Soll ich es für Sie kopieren?“
    „Nein, keine Kopie.“ Sie entspannte sich. „Es geht um ein eigenständiges Werk. Das hat Ihnen Paul gesagt, oder nicht?“ Sie wandte den Kopf zum Galeristen. Eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn, eine scharfe, abwärts gerichtete Klinge.
    Henryk dachte, dass sie hart war und spröde, eine Kämpferin. Ein Mensch, der das Leben als Abfolge aus Angriffen und Verteidigung begriff. Er musste wieder lächeln, er mochte sie. Sie schüchterte andere ein, bestimmt tat sie das. Dennoch fühlte er sich nicht in die Enge getrieben.
    „Können Sie das?“
    Er bemerkte, wie mühelos sie manipulierte. Sie legte Schärfe in ihren Tonfall, eine unterschwellige Provokation. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Verhoeven zu einer Antwort ansetzte.
    „Ja“, erwiderte er, bevor der Galerist etwas sagen konnte. „Wünschen Sie sich ein bestimmtes Motiv? Oder möchten Sie einen Vorschlag von mir?“
    Der Grat auf
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