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Die dunkle Armee

Titel: Die dunkle Armee
Autoren: James Barclay
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Junge hatte nicht mehr lange zu leben.
    Er und Arducius hatten die morasische Hafenstadt Okiro aufgesucht, weil es Gerüchte gab, dass hier und in den umliegenden Dörfern ein starkes Potenzial an Aufstiegskandidaten existierte. Sie hatten jedoch eine Seuche vorgefunden, die das Armenviertel der Stadt direkt hinter dem Hafen heimsuchte. Es hatte mit dem Trinkwasser zu tun, wie Arducius inzwischen wusste. Während er zusammen mit einem Landhüter, den sie am Vortag kennen gelernt hatten, die genaue Ursache erforschte, kümmerte Ossacer sich um die Einheimischen. Die Starken konnten gegen die Krankheit ankämpfen. Die Alten, Jungen und Schwachen kehrten zu Hunderten in die Umarmung Gottes zurück.
    »Kannst du ihn retten?«
    Ossacer wandte sich zur Tür um, wo die Mutter des Jungen stand. Sie war selbst noch jung, doch die Sorge hatte ihre Schönheit überlagert. Ihre Stimme zitterte, und jede Lebenslinie zeigte, welche Sorgen sie sich machte. Es war fast körperlich spürbar. In ihre Furcht um ihren Sohn mischte sich die Angst vor Ossacer. Die Verzweiflung hatte über ihr Misstrauen gesiegt, und so war sie schließlich bereit gewesen, es ihn versuchen zu lassen. Die Geschichte des Aufstiegs wiederholte sich immer wieder.
    Unter seinem Blick wurde sie nervös. Auch daran war er gewöhnt. Seine Augen, die nichts sahen, aber alles spürten und durch Haut und Knochen bis ins Herz blickten, machten den Menschen Angst.
    »Wenn du mich lässt, dann kann ich es.«
    Hoffnung und Erleichterung ließen ihre Lebensenergien schneller pulsieren.
    »Ja doch«, flehte sie. »Bitte.«
    Sie wollte Ossacer berühren, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Er wusste, was sie sah. In vielerlei Hinsicht war er ganz normal – sauber geschnittenes kurzes Haar, ein freundliches Gesicht, das vielleicht etwas vor der Zeit Falten bekommen hatte, und ein kleines Lächeln. Doch die irisierenden Farben seiner blinden Augen und das Wissen, wer er war – sie konnte es nicht einfach beiseiteschieben. Ossacer nickte.
    »Schon gut«, sagte er. »Ich verstehe das. Vertrau mir. Und hab keine Angst vor dem, was du vielleicht siehst. Ich werde ihm nicht wehtun.«
    Damit wandte er sich wieder dem Jungen zu und legte ihm eine Hand auf die schweißnasse Stirn. Die Hitze traf ihn wie ein Schock.
    »Bleib bei mir«, flüsterte er. »Gib nicht auf.«
    Ossacer konzentrierte sich auf den kranken, sterbenden Körper, bis die aufgewühlten Energien draußen im Hafen und in der ganzen Umgebung verblassten. Er suchte nach Kräften, die ihm näher waren. Obwohl er ausgeruht war, durfte er sich nicht zu sehr verausgaben. In den Elendsvierteln gab es noch so viel mehr zu tun, nachdem er dieses eine Kind gerettet hatte. Draußen vor dem Fenster stand ein alter Olivenbaum mit tief reichenden Wurzeln und verdrehten, knorrigen Ästen. Drinnen brannten Kerzen und Laternen, und in der winzigen Küche nebenan loderte ein Feuer. Das musste reichen.
    Ossacer hob eine Hand mit nach oben gerichteter Handfläche wie eine Schale über den Kopf. Dann öffnete er sich für die Energien des Baums und des Feuers und vereinte ihre Strukturen vor seinem inneren Auge. Der Baum, stark und langsam in Braun und Dunkelgrün pulsierend, durchsetzt mit den blassen Schatten der Jugend, wo neue Triebe auf die Wärme des Genastro warteten. Das chaotische Feuer, eine wabernde Masse aus roten und gelben Zungen, dunkler an den Spitzen, wo die Energie aus dem Kreis entfloh und sich in der umgebenden Luft verlor.
    Er erinnerte sich noch genau, wie fremdartig und schwierig er dies in seiner Jugend gefunden hatte, als er und die anderen erwacht waren und die wahren Farben des Lebens und die Pracht auf dieser Erde Gottes erkannt hatten. Damals war es ihnen fast unmöglich erschienen, sich mit einer anderen Energiequelle zu verbinden – und sie gar zu steuern, war eine lächerliche Vorstellung und eine unglaublich ermüdende Erfahrung gewesen.
    Jetzt war es anders, es ging fast wie von selbst, war aber auf lange Sicht immer noch anstrengend. Ossacer erweiterte seine eigene Energiestruktur, bis sie mit den Quellen, die er brauchte, Verbindung aufnehmen konnte. Dann öffnete er die Kreisläufe der äußeren Energien, bis sie durch ihn fließen konnten. Er spürte das heftige Zucken des Feuers und die träge Kraft des Olivenbaums. In seinem Körper konzentrierte und verstärkte er diese Energien und formte sie, bis sie seinen Vorstellungen entsprachen.
    Schließlich projizierte er die Struktur auf den Jungen
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