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Die Dornen der Rose (German Edition)

Die Dornen der Rose (German Edition)

Titel: Die Dornen der Rose (German Edition)
Autoren: Joanna Bourne
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verspeise.«
    Das Kaninchen zitterte am ganzen Körper und kam auf die Beine. Es schleppte sich durchs graubraune Gras in einen Abflussgraben. Die Furcht, die es ausgestrahlt hatte, verschwand mit ihm.
    Es war eine Erleichterung, ihr nicht mehr ausgesetzt zu sein. »Mir wäre bestimmt schlecht geworden, wenn ich etwas gegessen hätte, das so viel Angst hat.«

2
    Ihr war ein bisschen schwindelig, deshalb blieb sie noch ein Weilchen sitzen und betrachtete die Furche, die das Kaninchen bei seinem Verschwinden durchs Gras gezogen hatte. Sie fragte sich, ob es wohl ein hohes Alter erreichen und das Oberhaupt einer großen Familie mit Enkelkindern auf dem Schoß werden würde oder umgehend von einem Fuchs verspeist wurde.
    Dann glitten plötzlich Stimmen wie Nattern durch das monotone Rauschen des Regens. Männerstimmen.
    Sie raffte ihre Röcke und rannte los.
    Die Zeit reichte nicht, um es noch bis zum Wald zu schaffen. Sie rannte aufs Château zu. Auf dem langen Weg durch den Blumengarten haschten Lavendel, Fingerhut und Ringelblumen nach ihr. Die Kieselsteine knirschten unter ihren Holzpantinen. Sie machte Lärm. Zu viel Lärm.
    Das waren keine Männer aus dem Dorf, die über den rückwärtigen Weg kamen. Männer aus Voisemont würden nicht so spät am Tag bei Regen herkommen. Sie würden besseres Wetter abwarten, um das Château zu plündern. Sie würden mit quietschenden Karren anrücken, die man schon aus hundert Metern Entfernung hörte. Der Bote von Krähe würde, wenn er sie denn aufsuchen wollte, leise sein.
    Sie rannte über den Hof zur offen stehenden Stalltür und schlüpfte hinein. Ihre Holzschuhe klapperten auf der Stallgasse, als sie an den Boxen vorbeiging, deren Fenster alle geöffnet waren und das trübe Grau von draußen hereinließen. Kein Wiehern ertönte und auch kein Hufgeklapper. Nur das trockene Rascheln der Schwalben, die unter den Sparren nisteten, war zu hören. Unter dem hohen Dach des Stalls herrschte gähnende Leere. Mit den Pferden war auch die Seele daraus entwichen.
    Die praktisch denkenden Dörfler waren gekommen und hatten mit gierigem Blick alles in Augenschein genommen. Nichts, was noch irgendeinen Wert gehabt hätte, war zurückgeblieben: weder Decken noch das kleinste Stück eines Reithalfters, Zügels oder geflochtenen Seils. Nicht ein Fitzelchen gegerbten Leders war noch da. Sie hatten sogar die Futtertröge in Säcke entleert und den Hafer weggeschafft, sodass nur noch ein kümmerlicher Rest übrig geblieben war. Die Hühner in Voisemont würden diesen Sommer gut zu essen haben.
    An der letzten Box blieb sie neben der Leiter stehen, die zum Heuboden hinaufführte. Sie stand tief im Schatten bis zu den Knöcheln im Stroh. Alle Läden waren offen und schwangen im leichten Wind knarrend hin und her. Die Feuchtigkeit, die sich auf den Brettern gesammelt hatte, bildete Tropfen. Es hätte nur drei Minuten gedauert, sie alle zu schließen, aber keiner hatte sich die Mühe gemacht. Vielleicht gehörte es ja zu den Prinzipien der Revolution, dass gutes Stroh im Regen vergammeln sollte.
    Der ganze Hof war von hier aus zu überblicken. Sie würde sich überzeugen, dass es nicht der Bote von Krähe war. Dann würde sie sich durch die Hintertür davonmachen und die Plünderer sich selbst überlassen.
    Draußen im Hof konnte sie das tiefe Brummen einer schweren Person von einer leichteren, höheren Stimme unterscheiden. Mindestens zwei Männer also.
    Möglicherweise waren es Durchreisende auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen für die Nacht. Vielleicht auch Philosophen oder Gelehrte, fahrende Ritter, Pilger, verkleidete Helden oder Bänkelsänger. Oder aber echte Edelleute, die – voll fürstlichen Wohlwollens – danach strebten, Gutes zu vollbringen.
    Mittlerweile war sie skeptisch, was Wohlwollen anging.
    Die vereinzelt und planlos fallenden Regentropfen ließen die hohen Büsche am Wegesrand verschwimmen. Dann traten die beiden in ihr Blickfeld. Ein großer Mann in der Kleidung eines wohlhabenden Händlers, jedoch so braungebrannt wie ein Bauer, stapfte voraus. Sein Dienstjunge hinkte hinterher, da er seine liebe Not mit einem Paar Eseln hatte.
    Der Große blieb mit dem Rücken zu ihr in der Mitte des Platzes stehen und legte den Kopf in den Nacken, um die schwarz-grau gestreifte Fassade des Châteaus zu betrachten. Gewiss war er kein eleganter Herr, aber auch kein heruntergekommener Vagabund. Seine Kleidung bestand aus festem Stoff und war zweckmäßig: ein schlichter Mantel und
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