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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht
Autoren: Patricia Cornwell
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Moskitos umschwirren sie zwar wie eine graue Wirbelwolke, landen aber nicht.
    Erneut steht er von seinem Platz auf und gibt ihr einen Schluck Wasser aus einer Flasche. Der Großteil rinnt ihr das Kinn hinunter. Sie sexuell zu berühren interessiert ihn nicht. Drei Nächte bringt er sie nun schon auf sein Boot, weil er sich in Ruhe mit ihr unterhalten und auf ihre nackte Haut starren will, in der Hoffnung, dass sich ihr Körper irgendwann in den von Kay Scarpetta verwandelt. Dann jedoch wird er wütend, weil das nicht geht, wütend, weil Scarpetta niemals höflich wäre, und wütend, weil Scarpetta nicht schwach ist. Ein Teil von ihm fürchtet, rasend vor Wut, er könnte ein Versager sein, denn Scarpetta ist eine Wölfin, während er immer nur Lämmer fängt und das vollkommen treffende Wort, das Wort , einfach nicht finden kann.
    Ihm wird klar, dass ihm dieses Lamm im Fischtank ebenso wenig das Wort liefern wird wie all die anderen.
    »Mir wird langweilig«, teilt er dem Lamm mit. »Ich frage dich noch einmal. Letzte Chance: Wie lautet das Wort?«
    Sie schluckt heftig, und ihre Stimme erinnert ihn an eine gebrochene Achse, als sie versucht, ihre Zunge zu bewegen und zu sprechen. Er hört, wie sie ihr am Gaumen klebt.
    »Ich verstehe nicht. Tut mir Leid .«
    »Scheiß auf die Höflichkeit, kapiert? Wie oft muss ich es dir noch sagen?«
    Der winzige Vogel in ihrem Hals flattert panisch, und ihre Tränen fließen schneller.
    »Wie lautet das Wort? Beschreib mir, wie du dich fühlst. Und antworte jetzt bloß nicht, du hättest Angst. Schließlich bist du Lehrerin, verdammt. Du musst doch einen Wortschatz von mehr als fünf Wörtern haben.«
    »Ich fühle ... ich fühle Resignation«, schluchzt sie.
    »Was?«
    »Sie werden mich nicht freilassen«, erwidert sie. »Das weiß ich jetzt.«

3
    Scarpettas hintergründiger Humor erinnert Nic an Wetterleuchten, das nicht grellt und knackt und protzt wie ein echter Blitz, sondern ruhig und flackernd schimmert. Wie ihre Mutter früher sagte, heiße das, dass Gott Fotos mache.
    Er fotografiert alles, was du tust, Nic, also solltest du dich gut benehmen, denn eines Tages kommt das Jüngste Gericht, un d d ann werden die Fotos herumgereicht, damit alle sie sich anschauen können.
    Als Nic in die Highschool kam, glaubte sie schon längst nicht mehr an diesen Unsinn. Doch ihr »stiller Teilhaber«, wie sie ihr Gewissen nennt, wird vermutlich nie aufhören, sie zu warnen, dass ihre Sünden irgendwann ans Licht kommen werden. Und Nic ist überzeugt, eine ganze Menge Sünden auf sich geladen zu haben.
    »Ermittlungsbeamtin Robillard?«, hört sie Scarpetta sagen.
    Nic schrickt beim Klang ihres Namens zusammen, und ihre Aufmerksamkeit kehrt wieder in den gemütlichen, dunklen Speisesaal und zu den Kollegen darin zurück.
    »Erzählen Sie uns, was Sie tun würden, wenn um zwei Uhr nachts Ihr Telefon läutet. Sie hätten zwar schon ein paar Drinks intus, würden aber am Tatort eines wirklich grausigen Mordes gebraucht«, erläutert Scarpetta. »Ich muss dem vorausschicken, dass im Falle eines wirklich grausigen Mordes niemand außen vor bleiben will; auch wenn wir es nur ungern zugeben, entspricht das der Wahrheit.«
    »Ich trinke nicht oft«, erwidert Nic und bereut ihre Antwort sofort, als ihre Kommilitonen aufstöhnen.
    »Mein Gott, Mädchen, wo kommst du denn her, aus der Sonntagsschule?«
    »Ich wollte bloß sagen, dass ich es nur selten kann, weil ich einen fünfjährigen Sohn habe .« Nics Stimme erstirbt, und sie würde am liebsten zu weinen anfangen. So lange ist sie noch nie von ihm getrennt gewesen.
    Am Tisch entsteht Schweigen. Verlegenheit und Beklommenheit dämpfen die ausgelassene Stimmung.
    »Hey, Nic«, meint Popeye, »hast du ein Foto von ihm dabei? Er heißt Buddy«, erklärt er Scarpetta. »Sie sollten sein Foto sehen. Ein richtiger kleiner harter Junge auf einem Pony .«
    Nic hat keine Lust, das inzwischen abgegriffene Foto im Brieftaschenformat herumzugeben. Die Schrift auf der Rück s eite ist verblasst und verschmiert, weil sie es so oft herausholt, um es zu betrachten. Sie wünscht sich, Popeye würde das Thema wechseln oder sie wieder wie üblich anschweigen.
    »Wie viele von Ihnen haben Kinder?«, fragt Scarpetta in die Runde.
    Etwa ein Dutzend Hände heben sich.
    »Zu den schmerzlichen Aspekten unseres Berufs - möglicherweise ist es sogar das Schlimmste an diesem Job, oder besser: unserer Mission - gehören die Auswirkungen auf die Menschen, die wir lieben«,
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