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Die Brut

Titel: Die Brut
Autoren: Thea Dorn
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glücklich nach Hause gekommen, und da hatte sie zum letzten Mal mit Sebastian geschlafen. Einen Tag, bevor Carola ihre Mail geschrieben hatte. Tessa zog ihre Joggingshorts herunter.
    Gnadenbrot
.
Brutstätte
.
    Sie spürte nichts. Sie holte die Schreibtischlampe heran, um besser sehen zu können. Nichts. Keine Entzündung, kein
rasenartiger grauweißlicher Belag
. Carola log. Sie müsste es doch längst haben.
    Welche Inkubationszeit hatte eine Candida? Vier Tage? Fünf Tage? Tessas Hirn arbeitete, als säße sie in einer mündlichen Prüfung, und dies war die Frage, auf die sie in den nächsten zehn Sekunden eine Antwort finden musste. Das Brennen hatte bei Carola letzten Donnerstag begonnen. Also musste sie es sich Samstag oder Sonntag geholt haben. Den ganzen Sonntag war Sebastian mit ihr, Tessa, zusammengewesen, aber Samstagabend hatte er Vorstellung gehabt. Sie war zu Hause gewesen, hatte Fernsehen geguckt, war auf dem grauen Filzsofa eingeschlafen, und er hatte sie hoch ins Bett getragen. Er war spät nach Hause gekommen. Aber sie kam auch spät nach Hause, wenn sie Sendung hatte. Es war
normal
.
    Die beiden trieben es im Theater. In der Garderobe. Sebastian hatte fast immer seine Garderobe für sich. Auf dem schäbigen flaschengrünen Cordsamtsofa, das in der Ecke stand, mussten sie es treiben. Sebastian war kein Freund von Sex im Stehen. Oder behauptete er das nur, wenn er mit ihr zusammen war? Tessas Hände wühlten auf dem Schreibtisch herum, rissen Schubladen auf. Sie musste einen Spielplan finden. In welchem verdammten Stück hatte Sebastian letzten Samstag gespielt?
Der Kirschgarten
?
Was ihr wollt
? Die hatte sie gesehen. Da spielte Carola nicht mit.
    Sie hätte mehr mit ihm darüber reden müssen. Seit Wochen hatte sie über das Thema Carola kein Wort mehr verloren. Damals hatte er ihr gesagt, dass sie nur noch in einem Stück miteinander auf der Bühne stünden, und das sei im Grunde abgespielt.
    Endlich fand sie den Spielplan. Mit zitternden Fingern schüttelte sie das rot-weiß gestreifte Leporello auf. Samstag, 15. September.
Torquato Tasso
. Ihr Herz schlug schneller.
Tasso
. Das Password.
Bitte, lass Carola nicht

    Das Leporello zerriss, als Tessa es wendete, um nach der Besetzung zu schauen.
Torquato Tasso
. Von Johann Wolfgang von Goethe. Mit: Denkler, Rudow, Schustermann, Sibbling, Waldenfels. Keine Dembruch. Tessa schloss die Augen und ballte die Faust.
Carola spielte nicht mehr mit
. Die Verlassene hatte sich das alles nur zusammenphantasiert. Das Gnadenbrot. Die Candida. Nichts als ein hilfloser Versuch, Sebastian die Lust am neuen Sex zu verderben. Beinahe tat sie ihr Leid. Das verzweifelte Erdweibchen, dessen ganzes Leben um den leuchtenden Gatten gekreist war. Das aus der Umlaufbahn geflogen war, seitdem der Gatte es verlassen hatte.
    Tessa stützte sich auf die Armlehnen und streckte sich.
    Sind Sie sicher, dass Sie die markierten Nachrichten dauerhaft löschen möchten?
    Sie löschte nur die Nachricht, die Ben an sie geschickt hatte, schaltete den Laptop aus, zog ihre Hose hoch und verließ das Zimmer, um auf der Dachterrasse eine Zigarette zu rauchen.
    Mensch, Tessa, siehst du heute gut aus. So hatte Wiebke, ihre Lieblingsmaskenbildnerin, sie begrüßt, als sie um kurz nach acht ins Studio gekommen war. Wiebke machte keine falschen Komplimente.
Ganz schön geschafft, was?
Das hatte Tessa oft gehört.
    Sie betrachtete ihr Gesicht im Spiegel.
    Wiebke hatte recht. Sie
sah
gut aus. Unangreifbar.
    Die große Uhr über ihrer Garderobentür sprang auf zehn vor zehn. Tessa nahm einen Schluck Kombucha, ein Getränk, das sie eigentlich hasste und das sie nur vor ihren Sendungen trank. Zum wiederholten Mal kontrollierte sie, ob die hellgelben Karteikarten, auf denen ihre Fragen standen, in der richtigen Reihenfolge waren. Noch nie hatte sie die Reihenfolge in einer Sendung eingehalten. Es war ihr Talent, zu spüren, wo das Gespräch hindriftete. Und nie merklich einzugreifen.
Unterirdische Steuerung
hatte es Attila de Winter, ihr Produzent, einmal genannt.
Tessa, du bist die Meisterin der unterirdischen Steuerung
.
Du kannst es
.
    Das Publikum applaudierte, als Tessa das Studio betrat. Achtzig Menschen, alle glücklich, dass sie eine Karte für
Auf der Couch
ergattert hatten. Manche hatten bis zu vier Monate darauf gewartet.
    »Danke. Danke.«
    Tessa verbeugte sich und machte eine Handbewegung, als stünde sie in einem Kornfeld und strich über die reifen Ähren.
    »Danke. Sehr freundlich.
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