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Die Bruderschaft Christi

Die Bruderschaft Christi

Titel: Die Bruderschaft Christi
Autoren: Ulrich Hefner
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Helm eines getöteten Legionärs. Alles warfen sie in das tiefe Loch, ehe sie den Sand des Vergessens darüberschaufelten.
    Als der Tag graute, erinnerte nichts mehr daran, was in der Nacht geschehen war.
    Der staubige Weg lag im Glanz der Morgensonne, und auf den dürren und ausgemergelten Feldern unterhalb der Anhöhe grasten die Schafe eines judäischen Bauers, der auf einem Stein saß und seine Kapuze tief in das Gesicht gezogen hatte.
    Er saß noch dort, als gegen Mittag eine Schar Reiter des Weges kamen. Bewaffnet bis an die Zähne, ritten sie voran. Ihre metallenen Harnische glänzten im Sonnenlicht. Sie zügelten ihre Pferde.
    »Heda, alter Mann!«, rief der Anführer der großen Schar. »Wie lange sitzt du bereits auf diesem Stein?«
    Der Schäfer schaute auf.
    »Antworte, sonst schneide ich dir deine Zunge heraus«, setzte der Kommandant nach.
    »Ich sitze hier, seit die Sonne über die Hügel kam«, knurrte der Alte.
    »Hast du einen römischen Trupp gesehen, der hier des Weges kam?«, fuhr der Anführer der Reiterschar fort.
    Der Alte schüttelte den Kopf. »Nur die Schafe waren seit dem Morgen meine Gesellschaft, Römer habe ich nicht gesehen, nicht solange ich hier sitze und meine Tiere weiden lasse.«
    »Ich will dir glauben«, antwortete der Kommandant schroff. »Wenn du lügst, wird es dir schlecht ergehen.«
    Schon gab der Reiter seinem Pferd die Sporen, der Rest der Schar folgte. Die Schafe stieben ängstlich zur Seite, als die Pferde an ihnen vorbeigaloppierten. Der Hund des Schäfers bellte laut, doch als die Schar hinter dem Hügel entschwunden war, legte er sich zu Füßen seines Herrn wieder in das Gras.
    »Er hätte euch fragen sollen«, murmelte der alte Mann grinsend an seine Schafe gewandt. »Ihr hättet ihm wohl eine andere Geschichte erzählen können. Doch ihr seid nur Schafe, nichts weiter als dumme, blökende Schafe.«
     
     
    Kloster Ettal bei Oberammergau, Bayern
    mehr als 2000 Jahre später …
     
    Das fahle Licht des Vollmondes tauchte das Tal südwestlich von Oberammergau in ein silbernes, unwirkliches Licht. Im Schatten der Notkarspitze mit ihren fast zweitausend Metern Höhe lag die mächtige Benediktinerabtei in der trügerischen Ruhe der Nacht. Schritte hallten durch den Kreuzgang. Hastige Schritte, gehetzte Schritte, Schritte, die die Angst des Flüchtenden im weiten Rund der Klostermauern widerhallen ließen. Wie ein Schatten floh die dunkle Gestalt durch die Nacht. In ihrem schwarzen Mönchsgewand verschmolz sie mit der Umgebung, und nur wenn das silberne Mondlicht über die flatternde Robe strich, konnte man erahnen, dass sich ein Mensch darunter verbarg. Ein Mensch, dem die Angst im Nacken saß, ein Mensch, der den Tod fürchtete, vor dem es kein Entrinnen gab.
    Das Bellen eines Hundes drang durch die Nacht und verlor sich in dem ehrwürdigen Gemäuer. Sein Atem ging rasch, sein Herz raste, als er sich im Schatten der Kapelle in eine dunkle Ecke zwang. Er war am Ende seiner Kräfte. Er blickte sich ängstlich um und lauschte in die Finsternis. War er seinen Verfolgern entkommen?
    Das Bellen des Hundes war verstummt. Es war still geworden. Alles schlief, nur die beiden Laternen gegenüber dem großen Tor verströmten ihr gedämpftes Licht. Er atmete tief ein. Langsam kam er wieder zu Atem.
    Als er sich vor ein paar Wochen mit dem alten Mann in der Nähe von Garmisch getroffen hatte, hätte er sich nie träumen lassen, dass er bald schon um sein Leben fürchten musste. Der alte Mann mit den wässrigen blauen und wachsamen Augen, die lebendig und mitunter auch listig hin und her flogen und trotz des fortgeschrittenen Alters zeigten, wie viel Kraft und Energie noch in seinem Körper steckten. Er wusste, dass er sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte, doch in welcher Gefahr er wirklich schwebte, dessen war er sich nicht bewusst, als er die beiden Fragmente an sich genommen hatte.
    Früh schon hatte er Gott sein Leben geschenkt und seine Alltagskleider gegen die Kutte des Benediktinermönches eingetauscht. Lange standen Gott und der Glaube im Mittelpunkt seines Lebens, bis die Jahre an der kirchlichen Fakultät in Erlangen seinen unstillbaren Hunger nach Wahrheit geweckt hatten und ihm der Glaube allein nicht mehr genügte. Wissen wollte er, wissen um die Dinge, die sich vor mehr als zweitausend Jahren am anderen Ende der Welt abgespielt hatten. Viele Reisen führten ihn an die Stätte, an der Jesus von Nazareth gewirkt hatte. Im Auftrag der Kurie hatte er nach
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