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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue
Autoren: Paul Auster
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Singen? Hast du nicht Lust, da wieder einzusteigen?»
    «Manchmal schon. Aber Karriere will ich damit nicht mehr machen. Ab und zu mal am Wochenende hier im Viertel einen Auftritt, dagegen hätte ich nichts, aber keine Reisen mehr, keine großen Ambitionen. Das ist es nicht wert.»
    «Es reicht dir, Schmuck zu machen? Damit bist du zufrieden?»
    «Mehr als zufrieden. Ich bin täglich mit Nancy zusammen, und was kann ich mir Besseres wünschen? Eine wie sie gibt es nicht noch einmal. Ich liebe sie wie verrückt.»
    «Wir alle lieben sie.»
    «Nein, du verstehst nicht. Ich meine: Ich liebe sie
wirklich
. Und sie liebt mich auch.»
    «Natürlich tut sie das. Nancy ist einer der liebevollsten Menschen, die ich kenne.»
    «Du kapierst immer noch nicht. Ich versuche zu sagen, dass wir
verliebt
sind. Nancy und ich sind ein Liebespaar.»
    «…»
    «Du solltest mal dein Gesicht sehen, Onkel Nat. Du siehst aus, als hättest du eine Schreibmaschine verschluckt.»
    «Entschuldige. Aber das habe ich nicht geahnt. Natürlich habe ich gesehen, dass ihr zwei gut miteinander auskommt. Dass ihr euch mögt, aber   … aber ich habe nicht erkannt, dass es so eine große Sache geworden ist. Wie lange ist das schon so?»
    «Seit März. Ungefähr drei Monate nach meinem Einzug hat es angefangen.»
    «Warum hast du mir nicht schon früher davon erzählt?»
    «Ich hatte Angst, du würdest es Joyce erzählen. Und Nancy möchte nicht, dass sie es erfährt. Sie meint, ihre Mutter würde ausflippen.»
    «Und warum erzählst du es mir jetzt?»
    «Weil ich inzwischen glaube, dass du ein Geheimnis für dich behalten kannst. Du wirst mich doch nicht enttäuschen?»
    «Nein, ich werde dich nicht enttäuschen. Wenn du nicht willst, dass Joyce davon erfährt, werde ich ihr nichts sagen.»
    «Und du bist nicht enttäuscht von mir?»
    «Aber nein. Wenn du mit Nancy glücklich bist, umso besser für dich.»
    «Wir haben sehr viel gemeinsam. Wir sind fast wie Schwestern, wir funken auf derselben Wellenlänge. Wir wissen immer, was die andere gerade denkt oder fühlt. Die Männer, mit denen ich zusammen war – bei denen ging alles nur um Worte: Ständig mussten sie reden, erklären, streiten, ein ewiges Gequassel. Und wir, ich brauche sie nur anzusehen, und schon weiß ich, was in ihr vorgeht. So etwas habe ich noch mit keinem Menschen erlebt. Nancy nennt das Magie, aber ich nenne es einfach nur Liebe, schlicht und einfach. Wahre Liebe.»

«GENAU WIE TONY»
    I ch hielt mein Versprechen und erzählte Joyce nichts, aber ich wahrte das Geheimnis nicht nur, um den Mädchen einen Gefallen zu tun, sondern auch, um mich selbst zu schützen. Ich hatte keine Ahnung, wie Joyce reagieren würde, wenn sie die Wahrheit erführe. Jedenfalls nicht gelassen, fürchtete ich, und dann könnte sie in ihrem Zorn einen Schuldigen suchen. Und wer eignete sich besser für die Rolle des Sündenbocks als Auroras Onkel, dieser elende Strolch, der seine nichtsnutzige, labile Nichte ins Zentrum der Familie Mazzucchelli manövriert hatte, damit sie die unschuldige Nancy zu einer leidenschaftlichen Lesbe machen konnte? Ich stellte mir vor, Joyce würde Rory und Lucy aus dem Haus werfen, und in dem sich daran anschließenden familiären Chaos würde ich zwangsläufig die Tochter meiner Schwester verteidigen müssen, und das wiederum würde Joyce so von mir entfremden, dass sie auch mich zum Teufel jagen würde. Wir waren inzwischen ein Jahr lang zusammen, und das war weiß Gott das Letzte, was ich mir wünschte.
    Es war ein ruhiger warmer Sonntagabend kurz nach dem Ende der Sommerferien. Joyce kam zu mir in die Wohnung, wir wollten uns Filme anschauen und uns aus einem Thai-Restaurant etwas zu essen kommen lassen. Nachdem wir die telefonische Bestellung aufgegeben hatten, sagte sie zu mir: «Du wirst nicht glauben, was die machen.»
    «Von wem reden wir?», fragte ich.
    «Nancy und Aurora.»
    «Was wohl. Schmuck herstellen und verkaufen. Sich um die Kinder kümmern. Die übliche Schinderei.»
    «Sie schlafen zusammen. Sie haben eine Affäre.»
    «Wie kommst du darauf?»
    «Ich habe sie erwischt. Du weißt doch, als ich Donnerstag hier übernachtet habe, bin ich früh aufgestanden, und statt gleich zur Arbeit zu fahren, bin ich erst nach Hause, um mich umzuziehen. Und weil am Nachmittag der Klempner kommen sollte, bin ich zu Nancy raufgegangen, um sie an den Termin zu erinnern. Als ich die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufmache, seh ich die beiden nackt auf dem Bett liegen, eng
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