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Die Bienenkönigin

Titel: Die Bienenkönigin
Autoren: Aufbau
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in einer sicheren Umgebung und in der Gesellschaft Gleichgesinnter auszuprobieren, treffen
     sich Sadisten, Masochisten und Sadomasochisten auf der ganzen Welt in Vereinigungen, die als »Freundeskreis«, »Zirkel«, »Salon«
     oder – so wie in
Die Bienenkönigin
– »Club« bezeichnet werden und oft auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Mehrzahl der Mitglieder sadomasochistischer
     Clubs stammt aus der oberen Mittelschicht, verfügt über eine überdurchschnittliche Schulbildung und ist sozial sehr gut integriert;
     Talbot Bingham, der umjubelte Achitekt, bewegt sich also durchaus unter seinesgleichen. Statistiken belegen, dass Angehörige
     der sadomasochistischen Subkultur fast nie sadistische Straftaten verüben, während umgekehrt sadistische Delinquenten meist
     keinen Anteil an der Subkultur haben.
    Weshalb ein Mensch Leid, Schmerz und Gewalt nicht meidet, sondern sucht und dabei sogar Lust empfindet, ist umstritten. Eine
     Theorie lautet, dass ein solcher Mensch unbewusst bestimmte Ängste – bei männlichen Masochisten beispielsweise die vor einer
     Kastration – durch spielerische Antizipation zu bekämpfen sucht. Eine andere Theorie besagt, dass bestimmte Erlebnisse |131| bei dem betroffenen Menschen zu der unbewussten Überzeugung geführt hätten, dass Schmerz und Liebe beziehungsweise Lust untrennbar
     miteinander verbunden sind. Fakt ist, dass Menschen ihre sadistischen oder (sado-)masochistischen Sexualpräferenzen nicht
     – etwa mittels einer Psychotherapie – ablegen können. De Sade hätte den Gedanken an eine solche »Heilung« wohl auch entsetzt
     von sich gewiesen; der Marquis sah keinen Grund, sich für das, was ihm Lust bereitete, zu schämen. »Alle Moralideen sind eigenmächtig,
     und der ist ein großer Narr, der sich durch sie fesseln lässt!«, erklärte er seinen Feinden stolz. Gloria Vanderbilts Figuren
     würden ihm gewiss begeistert zustimmen.
     
    Janus(köpfigkeit)
    Wie doch der Anschein täuschen kann: Von außen wirkt das gepflegte Gebäude in der ruhigen Brooklyner Seitenstraße, das Talbot
     so oft und gern besucht, unauffällig und regelkonform. Hinter der gediegenen Fassade aber hat man die guten Sitten außer Kraft
     gesetzt, lassen die Gäste alle Hemmungen fallen und gilt nur eine einzige Regel:
anything goes
, wie die Amerikaner sagen, alles ist möglich – sogar Einhörner. Kein Wunder, dass der Club, der sich hier befindet, nach
     einer Figur benannt wurde, die für ihr Doppelgesicht berühmt ist: nach Janus nämlich, dem wohl eigentümlichsten Gott der römischen
     Antike.
    |132| Im Gegensatz zu seinen olympischen Kollegen hatte Janus kein Vorbild unter den griechischen Göttern; dennoch war er einer
     der bedeutendsten Heiligen der Römer, wurde bei allen Opfergaben zuerst bedacht und in allen Ritualen und Gebetsformeln noch
     vor dem Göttervater Jupiter angerufen. Diese Sonderstellung verdankte Janus der Tatsache, dass er als Gott des Ursprungs und
     des Anfangs aller Dinge galt. Doch damit nicht genug: Auch das Ende und der Abschluss aller Dinge lagen, so glaubten die Römer,
     in Janus’ Hand. Seine Doppelfunktion trug ihm die Beinamen Janus
patulcius
(»Der Gott, der die Türen öffnet«) und Janus
clusius
(»Der Gott, der die Türen schließt«) ein.
    Gleich zwei
ianuae
(Türen) hatte der Janus-Tempel in Rom: eine im Osten und eine im Westen. Genau in der Mitte des Tempels stand eine Statue
     des Gottes, die zwei Gesichter besaß; das eine blickte durch die Osttür hinaus in Richtung Sonnenaufgang, das andere durch
     die Westtür in Richtung Sonnenuntergang. So kam es, dass die Römer den Gott, der über Anfang und Ende herrschte, auch Janus
bifrons
nannten, »der Gott mit den zwei Antlitzen«.
    Passenderweise war Janus der Schutzherr und Namensgeber eines Monats, zu dessen Beginn sich die Menschen traditionell sowohl
     dem Rück- als auch dem Ausblick widmen:
Januarius
, unser Januar. Auch der Ausdruck »janusköpfig« lässt sich auf den antiken Römergott zurückführen; mit diesem Begriff werden
     Personen oder Institutionen bezeichnet, deren Charakter |133| oder Verhalten zwei Seiten zeigt, die sich eigentlich nicht miteinander vereinen lassen. In
Die Bienenkönigin
begegnen dem Leser mehrere derart widersprüchliche Gestalten: Talbot zum Beispiel, der ein raffiniertes Doppelleben führt,
     sich mal in der Rolle von Priscillas treusorgendem Ehemann und mal in der von Bees allmächtigem Gebieter gefällt. Und könnten
     nicht auch Priscilla
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