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Die Bienenkönigin

Titel: Die Bienenkönigin
Autoren: Aufbau
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weckte ich die
     Leidenschaft in dem Mann, den ich bewunderte und liebte, und unwillkürlich verstellte ich mich und tat so, als spürte ich
     dieselbe Leidenschaft wie er. Aber es war in Ordnung. Ich konnte damit umgehen und beließ es dabei. Schließlich vergaß ich
     sogar das Beratungsgespräch, das ich zu Beginn meiner Ehe mit meinem Arzt geführt hatte. Ich hatte ihn gefragt, ob ich frigide
     sei. Er wollte wissen, wie das Verhältnis zu meinem Vater gewesen sei, und ich erzählte ihm, dass mein Vater vor meiner Geburt
     gestorben sei und meine Mutter nie wieder geheiratet habe. Als ich mich erkundigte, warum er dies wissen wolle, sagte er mir,
     dass sich Frigidität manchmal zurückführen ließe auf anhaltende Angst vor dem Mann, der hartnäckig als mächtiger und strafender
     Vater gesehen wird und weiterhin weh tun oder verwunden könnte. Während des Gesprächs wurde mir klar, dass ich in der Tat
     mit sehr viel unterdrückter Wut aufgewachsen war, weil mein Vater mich verlassen hatte, ohne dass ich ihn je kennenlernen
     konnte. Ich fragte den Arzt, ob es damit zusammenhängen könne. Er antwortete, es sei durchaus möglich, riet mir aber, das
     Ganze nicht als Problem zu behandeln.
    |9| »Sie lieben einander«, sagte der Arzt. »Sprechen Sie mit Talbot darüber.«
    Das jedoch war undenkbar. Es war bereits zu spät. Die Lüge war unter vollen Segeln bereits auf die hohe See vorgestoßen. Und
     sie erfüllte ihren Zweck. Ich war stolz auf die Gewissheit, Ordnung in das Chaos gebracht zu haben, das in seinem genialen
     Hirn wütete. Er war so feinnervig, dass er permanent auf der Hut war, um ja keine neue Gelegenheit zu verpassen. Obwohl seine
     Gefühle von außergewöhnlicher Intensität waren, besaß er die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, so dass sich seine Leidenschaften
     Außenstehenden selten offenbarten. Ich spürte, dass er sich schon vor Zeiten in einer zweiten Haut eingerichtet hatte, hinter
     der er seine wahre Identität verbarg (wenn auch niemals vor mir). Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die bei einer Begegnung
     enttäuschen, weil ihr wahres Ich in ihrem Werk steckt und das, was sie ihrer Umwelt präsentieren, entweder ein falsches oder
     lückenhaftes Bild ihrer selbst ist, vermochte sich Talbot dank seines chamäleonhaften Charismas jeder beliebigen Situation
     anzupassen. Er war ein großartiger Schauspieler, der sämtliche Rollen beherrschte. Kein Wunder, dass sich die Menschen von
     ihm angezogen fühlten. Und auch ich genoss seine Auftritte, wohl wissend, dass er allein mir vertraute und dass nur ich die
     uneingeschränkte Kontrolle und die Gabe besaß, sein Leben so zu organisieren, dass alles Belanglose, Unsolide und Geschmacklose
     daraus verbannt wurde und wir gemeinsam |10| nach Höherem streben konnten. Gemeinsam waren wir klug und schön, reich, beneidet, erfolgreich, und wir gestalteten unser
     Leben, und auch unser Talcilla, in jeder Hinsicht partnerschaftlich. Was blieb zu wünschen übrig?, fragte ich mich.
    Jetzt, da ich allein war, legten sich tagsüber bewegte Bilder aus dem gemeinsamen Leben mit Talbot über die Realitäten des
     Alltags und machten ihn erträglich. Aber des Nachts liefen, wie von unbekannter Hand eingespeist, Szenen unserer Liebesakte
     wie ein Film vor meinen Augen ab und kehrten wieder, bis ich ihrer überdrüssig wurde und sie abzublocken versuchte. Doch ich
     musste hinnehmen, dass sie sich immer wieder aufs Neue abspulten – Vampire, die das Herzblut unserer Liebe saugten. Wie anstrengend
     war es gewesen, wie mühselig, jedes Mal wenn wir uns liebten, eine Vorstellung zu geben. Ich quälte mich in bitterlicher Reue,
     sehnte mich, ihm gestehen zu können, aber die Furcht, ihn zu verlieren, war so groß, dass ich stumm blieb. Vielleicht hätte
     er mich verstanden, mir gar geholfen, die Leere zu durchqueren. In der Dunkelheit lag ich da, von Panik ergriffen, und Schuldbewusstsein
     überkam mich, als ich die rechte Hand auf die linke legte und keinen Ring ertastete. Spontan hatte ich meinen Ehering auf
     Talbots Finger geschoben, bevor sich der Sargdeckel schloss. Symbol dafür, dass ich mit ihm ins Grab ging.
     
    |11| Talbot hatte die Namen Talbot und Priscilla zu dem Begriff »Talcilla« verschränkt, und unter dieser Bezeichnung war unser
     Anwesen an der Ostküste Marylands bekannt geworden. Bald war ein Architekturzentrum – die Talcilla Fellowship of Architects
     – mit Farmen, Wohnhäusern, Arbeitsräumen für Studenten und einem
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