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Die beiden Nachtwächter

Die beiden Nachtwächter

Titel: Die beiden Nachtwächter
Autoren: Karl May
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Benutzung
    des Omnibus finden, und dieser setzte seinen einsamen
    Weg ohne Fahrgast fort.
    In Ammerstadt angekommen, hielt er vor dem Gast-
    hofe zum „blauen Stern“, der Kutscher stieg ab, spannte
    seine Pferde aus, führte sie in den Stall und ließ den Wagen
    stehen.
    Weder die Bewegungen desselben während der Fahrt
    noch die Musik, welche vom Saale der „Ente“ auf die
    Straße schallte, hatten den guten Nachtwächter wach ge-
    rufen. Jetzt aber, wo das Fuhrwerk plötzlich stille stand,
    schien einiges Leben in ihn zu kommen. Er hob den herab-
    gesunkenen Kopf in die Höhe, streckte die Beine aus, erst
    langsam und unsicher, dann aber energischer, und wollte,
    zum Bewußtsein seiner Pflicht gekommen, schnell in die
    Höhe fahren, stieß aber mit dem Kopfe so kräftig an die
    Wagendecke, daß das alte Gerümpel in allen Fugen krachte
    und er wieder auf den Sitz zurückfiel.
    „Tausendsapperlot, was ist denn das? Wo bin ich denn
    da hingerannt? Hat der Bärenwirth denn seit heute ein
    Dach über seine Bank machen lassen?“
    Noch immer in dem Wahne, daß er auf der gewohnten
    Bank sitze, tastete er mit den Händen um sich und fühlte
    sich von hinten, rechts und links von Wänden einge-
    schlossen.
    „Na, jetzt hört Alles auf! Wo bin ich denn nur eigentlich
    hingerathen? Das ist ja eine Finsterniß wie in einer egypti-
    schen Mumie! Ich muß mir nur ’mal Licht anbrennen!“
    Er zog die Zündhölzer aus der Tasche, strich eins der-
    selben an, und gewahrte nun endlich, wo er sich befinde.
    „So dumm! Ich bin doch erst vor ein Paar Minuten her-
    eingekrochen und weiß schon nicht mehr, wo ich stecke.
    Das macht aber der Grog und der Wein und Schnaps im
    Rathskeller. Na, das soll mir nicht mehr passiren. Es ist nur
    ein tausendes Glück, daß es noch nicht um Elfe ist, sonst
    hätte mich der Fritz ertappt, und das wäre ’ne schöne Bla-
    mage gewesen! Und die Pfeife ist mir auch aus den Zähnen
    gefallen. Wenn nun der theure Geburtstagskopf gar noch
    zerbrochen ist!“
    Er hob sie auf und untersuchte sie, so gut sich das im
    Finstern thun ließ.
    „Na, ’s ist Alles noch ganz. Immer noch Glück beim
    Unglück!“ Damit schob er sich aus dem Wagen hinaus.
    Noch immer schneite es so dicht, daß kaum die nächste
    Umgebung zu erkennen war. Während des zweistündigen
    tiefen Schlafes hatte sich der kleine Rausch verflüchtigt,
    und es war ihm nun recht hübsch und wohl zu Muthe.
    „Was doch so ein kurzes Nickerchen thun kann! Höch-
    stens fünf Minuten habe ich die Augen zugemacht und bin
    doch nun wie neugeboren. Aber da ist ja die Ecke!“
    „Du — u — u — ut! ’s hat Zehn geschlagen! Lobt
    Gott den Herrn!“
    Er ging weiter und bemerkte gar nicht, daß hinter ihm
    eine Thür sich öffnete und ein dahinter verstecktes Lie-
    bespaar ihm verwundert nachblickte. Die Straße schien
    ihm zwar etwas länger als gewöhnlich, aber in dem hohen
    Schnee konnte man heut gar nicht so recht vorwärts kom-
    men und — — aber was war denn das? Da vorn, eine
    ziemliche Strecke vor sich hörte er den Ton einer Schnarre
    und gleich darauf die Worte:
    „Zwölf geschlagen! Lobt den Herrn!“
    „Tausendsapperlot, da will mich einer foppen. Wart,
    Bursche, Dich will ich schon erwischen!“
    Im Schnellschritt ging es nun vorwärts; aber es war
    Nichts zu sehen, und der Spaßvogel schien sich in ein Haus
    geflüchtet zu haben. Nur eine lange, hagere Gestalt ging
    dort einige Schritte vor ihm her. Der Mann wars jedenfalls
    nicht gewesen, sonst wäre er nicht so langsam und gravitä-
    tisch davongestiegen. Vielleicht wars der Herr Landrichter;
    der hatte auch so einen steifen Hahnenschritt.
    Aber hier kam wieder eine Ecke; er griff zum Horn und
    setzte es an.
    „Du — u — u — ut! Hört, Ihr Herrn und laßt Euch
    sagen,
    Die Glocke, die hat Zehn geschlagen;
    Bewahrt das Feuer und das Licht,
    Daß — — — “
    „Heiliger Knieriem!“ donnerte es ihm da mit solcher Ge-
    walt in die Ohren, daß ihm die „Stadt“ mit dem „Schaden“
    sofort im Halse stecken blieb. „Wer ist denn der Tausend-
    sakkermenter, der es wagt, hier herumzuduten, und die
    falsche Zeit auszurufen!“
    „Tausendsakkermenter? — herumzuduten? — falsche
    Zeit? — Was fällt Ihm denn ein, und wer ist Er denn ei-
    gentlich, Er Nichtsnutz?“
    „ ‚Er‘ nennt er mich, und ‚Nichtsnutz‘ dazu? Wart, ich
    werde Ihm lehren, die Leute aufzuwecken und mich in
    meinem Amte da mit Seiner Dute zu beleidigen. Marsch
    fort, ins
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