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Die Bedrohung

Die Bedrohung

Titel: Die Bedrohung
Autoren: Vince Flynn
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als Polizistin sie im entscheidenden Moment zögern lassen würden. Einen Mitmenschen zu töten ist nicht immer so schwer, wie man vielleicht denken würde. Wenn jemand nur einigermaßen weiß, wie man es anstellt, und in eine Situation kommt, in der er gezwungen ist, sich selbst oder seine Familie zu verteidigen, so wären wohl die meisten dazu in der Lage. Wenn man, so wie ein Secret-Service-Agent, Hunderte Stunden Training hinter sich hat, so würde der Betreffende ohne zu zögern und sehr effizient von seiner Waffe Gebrauch machen, um einen potenziellen Präsidentenmörder aufzuhalten.
    Wenn man jedoch von einem solchen Agenten verlangen würde, eine unbewaffnete Zivilperson zu töten, so sähe die Sache ganz anders aus. Selbst wenn die Schuld des Betreffenden außer Zweifel stünde und die Bestrafung dem begangenen Verbrechen angemessen wäre, würden nur wenige Polizisten die Rolle des Scharfrichters übernehmen wollen. Hier ginge es nicht mehr darum, auf eine Bedrohung zu reagieren. Hier wäre eine ganz andere Fähigkeit verlangt. Es wäre so, als würde man von einem Footballspieler, der stets als Verteidiger eingesetzt war, verlangen, von einem Moment auf den anderen in die Rolle des Angreifers zu schlüpfen und dabei genauso viel zu leisten wie vorher. Ein so abrupter Rollenwechsel ist fast unmöglich. Ohne jedes Aufsehen zu töten und es wie einen Unfall aussehen zu lassen, war das Geschäft von gut ausgebildeten professionellen Killern.
    Rapp sah die Frau neben ihm an. Sie schlief tief und fest. Langsam zog er seinen rechten Arm unter ihrem Nacken hervor, schlug das Laken zurück und schlüpfte aus dem Bett. Als er sie zudeckte, zuckte ihr Kopf ganz leicht und ruhte dann wieder unbewegt auf dem Kissen. Rapp ging über den kühlen Fliesenboden zum Balkon hinüber. Eine milde feuchte Brise wehte durch die Wipfel der Palmen unter ihm. Er blickte auf die Bucht hinaus und suchte zwischen den schwankenden Masten der Segelboote nach der schlanken Motoryacht, die dem Mann gehörte, den sie zu töten hatten. Die Yacht war gestern am späten Nachmittag angekommen und gut sechzig Meter vom nächstgelegenen Boot entfernt vor Anker gegangen. Die neunzehn Meter lange Azzurra mit dem knallroten Streifen war unter den vielen weißen Booten leicht auszumachen.
    Der Mann wollte zwei Nächte hier in Golfito bleiben. Bisher war er noch nie von seiner geplanten Route abgewichen, was Rapps Aufgabe noch einfacher machte. Für diesen Abend hatte Rapp nur vorgehabt, ihn zu beobachten, doch nun erschien es ihm plötzlich denkbar, das Ganze zu beschleunigen. Er blickte zum Viertelmond und den hereinziehenden Wolken hinauf. In einer Stunde würden die Bedingungen so günstig sein, wie man es sich nur wünschen konnte. Die Wettervorhersage hatte für den nächsten Abend einen klaren Himmel angekündigt. Ein Viertelmond über dem Wasser spendete mehr Licht, als man denken mochte, und mehr Licht erhöhte das Risiko, gesehen zu werden.
    Rapp blickte zu Rivera zurück. Diese Operation musste aus nächster Nähe und ohne Hilfsmittel durchgeführt werden. Man würde sich nicht auf Distanz halten und die Sache durch das Zielfernrohr eines Gewehrs erledigen können. Auch wenn die Zielperson physisch keine Gefahr darstellte, war dies doch die weitaus schwierigste Art zu töten. Die größte psychologische Herausforderung. Mit bloßen Händen. Ohne Messer. Ohne Pistole. Nur du und das Opfer in einem Kampf auf Leben und Tod, so wie eine Anakonda, die irgendein warmblütiges Tier in ihrer tödlichen Umarmung erdrückt. Sie würde die Hitze seines Körpers spüren, seinen Geruch einatmen, seine erstickten Schreie hören und möglicherweise auch die nackte Angst in seinen Augen sehen. Nein, beschloss Rapp, das war eine zu schwierige Aufgabe für Rivera.
    Leise ging er zu seiner Tasche hinüber und zog ein verschlüsseltes Motorola-Funkgerät hervor. Er schaltete es ein und legte es auf die Kommode. Mit der übrigen Ausrüstung schlich er aus dem Schlafzimmer und ging über den Flur zum Wohnzimmer. Die große Schiebetür war offen und nur von weißen Vorhängen bedeckt. Rapp trat zur Tür, zog den Vorhang zurück und schlüpfte auf die Veranda hinaus. Er zog einen schwarzen Schwimmanzug an und ging auf dem Weg zur Bucht hinunter. Das Haus stand auf einem fünf Morgen großen Grundstück und hatte einen eigenen Privatstrand.
    Rapp gelangte zu den Bäumen und überblickte die weite Sandfläche. Es war niemand zu sehen. Er steckte sich ein Funkgerät
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