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Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)

Titel: Die Autobiographie: Die Ursache / Der Keller / Der Atem / Die Kälte / Ein Kind (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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sind. Wahrscheinlich ist in Internaten und vornehmlich in solchen unter den extremsten menschensadistischen und naturklimatischen Bedingungen wie in der Schrannengasse das Hauptthema unter den Lernenden und Studierenden, unter den Zöglingen kein anderes als das Selbstmordthema, alles andere also als ein wissenschaftlicher Gegenstand, ein solcher Gegenstand nicht aus der Studienmasse heraus, sondern aus dem ersten, alle gemeinsam am intensivsten beschäftigenden Gedanken heraus, und der Selbstmord und der Selbstmordgedanke ist immer der wissenschaftlichste Gegenstand, aber das ist der Lügengesellschaft unverständlich. Das Zusammensein mit den Mitzöglingen ist immer ein Zusammensein mit dem Selbstmordgedanken gewesen, in erster Linie mit dem Selbstmordgedanken, erst in zweiter Linie mit dem Lern- oder Studierstoff. Tatsächlich habe nicht nur ich während meiner ganzen Lern- und Studierzeit die meiste Zeit mit dem Selbstmordgedanken zubringen müssen, dazu herausgefordert von der brutalen, rücksichtslosen und in allen ihren Begriffen gemeinen Umwelt einerseits, von der in jedem jungen Menschen größten Sensibilität und Verletzbarkeit andererseits. Die Lern- und Studierzeit ist vornehmlich eine Selbstmordgedankenzeit, wer das leugnet, hat alles vergessen. Wie oft, und zwar hunderte Male, bin ich durch die Stadt gegangen, nur an Selbstmord, nur an Auslöschung meiner Existenz denkend und wo und wie ich den Selbstmord (allein oder in Gemeinschaft) machen werde, aber diese durch alles in dieser Stadt hervorgerufenen Gedanken und Versuche haben immer wieder zurück in das Internat, in den Internatskerker geführt. Den Selbstmordgedanken als den einzigen ununterbrochen wirksamen hatte nicht nur jeder für sich gehabt, alle haben diesen ununterbrochenen Gedanken gehabt, und die einen sind von diesem Gedanken
gleich getötet
und die anderen von diesem Gedanken
nur gebrochen
worden, und zwar für ihr ganzes Leben gebrochen; über den Selbstmordgedanken und über Selbstmord ist immer debattiert und diskutiert und in allen ausnahmslos ununterbrochen
geschwiegen
worden, und immer wieder ist aus uns ein
tatsächlicher Selbstmörder
hervorgegangen, ich nenne ihre Namen nicht, die ich zum Großteil gar nicht mehr weiß, aber ich habe sie alle hängen und zerschmettert gesehen als Beweis für die Fürchterlichkeit. Mir sind mehrere Begräbnisse auf dem Kommunalfriedhof und auf dem Maxglaner Friedhof, auf welchen solche von ihrer Umwelt umgebrachte dreizehn- oder vierzehnjährige oder fünfzeh- noder sechzehnjährige Menschen als Zöglinge
verscharrt, nicht begraben worden sind
, bekannt, denn in dieser streng katholischen Stadt sind diese jungen Selbstmörder natürlich nicht begraben worden, sondern nur unter den deprimierendsten, menschenentlarvendsten Umständen verscharrt. Diese beiden Friedhöfe sind voller Beweise für die Richtigkeit meiner Erinnerung, die mir, dafür danke ich, durch nichts verfälscht worden ist und die hier nur Andeutung sein kann. Den an der Verscharrstelle schweigenden Grünkranz in seinen Offiziersstiefeln, die in schamvollem Entsetzen in pompöser Schwärze dastehenden sogenannten Anverwandten des Selbstmörders, die Mitschüler, die einzigen an der Verscharrstelle um die Wahrheit und um die ehrliche Fürchterlichkeit der Wahrheit Wissenden, die den Vorgang solcher Verlegenheitsbegräbnisse beobachten, sehe ich, Wörter, mit welchen sich die sogenannten hinterbliebenen Erziehungsberechtigten von dem Selbstmörder zu distanzieren versuchen, während sie ihn in seinem Holzsarg in die Erde hinuntergelassen haben, höre ich. Ein Geistlicher hat in einer solchen, dem Stumpfsinn des Katholizismus vollkommen ausgelieferten und von diesem katholischen Stumpfsinn vollkommen beherrschten Stadt, die dazu in dieser Zeit auch noch eine durch und durch nazistische Stadt gewesen ist, bei einem Selbstmörderbegräbnis nichts zu suchen. Der ausgehende Herbst und das in Fäulnis und Fieber eingetretene Frühjahr haben immer ihre Opfer gefordert, hier mehr als anderswo in der Welt, und die für den Selbstmord Anfälligsten sind die jungen, die von ihren Erzeugern und anderen Erziehern alleingelassenen jungen Menschen, lernenden und studierenden und tatsächlich immer nur in Selbstauslöschung und Selbstvernichtung meditierenden, für welche einfach noch alles die Wahrheit und die Wirklichkeit ist und die in dieser Wahrheit und Wirklichkeit als einer einzigen Fürchterlichkeit scheitern. Jeder von uns hätte
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