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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition)
Autoren: helga zeiner
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eine langjährige Beziehung mit einer Jugendfreundin noch eine kurze Ehe hatten das Vakuum, das in ihm herrschte, zu füllen vermocht.
    Doch schon der erste Blick auf die Frau, die solch verzweifelte Einsamkeit und unbändigen Stolz ausstrahlte, weckte alle möglichen, bis dahin ihm völlig fremde Emotionen in ihm. Seinen Beschützer- und Besitzerinstinkt, Begierde und Bewunderung, und gleichzeitig ein nie gekanntes Anlehnungsbedürfnis. Sie war auf ihn zugegangen, selbstsicher und stark, verletzlich und verloren, und seitdem hatte er die unerklärliche Sehnsucht, dass sie zu ihm und er zu ihr gehören möge.
    „Jo Ann!“ John versuchte über die Köpfe seiner Gäste hinweg, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Obwohl er eine drahtige, muskulöse Figur hatte und einige Zentimeter größer war als die hochgewachsene Jo Ann, hatte er Mühe, sie über den wuchtigen Schädeln der Pubbesucher im Blickfeld zu behalten. John winkte ihr zum Ende der langen Bar. Er würde ihr dort einen Platz frei machen.
    „Gib mir ein Pint von deinem Besten“, sagte Jo Ann, als sie bei ihm angekommen war.
    Er schenkte ihr ein, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen, und stellte das volle Bierglas vor sie auf den Tresen. Sie sah müde aus.
    „Was treibt dich heute hierher, es ist doch noch gar nicht Mittwoch? Geht dir das Unwetter auf die Nerven?“, fragte er.
    Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Es wird vorübergehen.“
    Er beugte sich vor, damit sie ihn besser hören konnte. „Geh nicht weg“, sagte er leise, „ich bin gleich wieder da. Ich muss mich nur kurz um dieses besoffene Pack kümmern, das dort hinten mit leeren Gläsern um sich schmeißt.“
    Natürlich wusste er, dass er sie vielleicht den ganzen Abend über nicht mehr sehen würde. Schon drehte sie sich vom Tresen weg und sah sich im überfüllten Raum um, und John widmete sich schweren Herzens wieder seinen anderen Gästen.
    Jo Ann kannte fast jeden der Anwesenden. Da war Jürgen, der Deutsche, dessen massiger Körper gerade noch durch das Bohrloch passte. Er und seine Frau Monika waren sogar noch einige Jahre länger hier als sie selbst, und hatten noch die Anfänge des Opalrausches erlebt, als die ersten großen Funde um Lightning Ridge gemacht worden waren. Jürgens Claim war inzwischen ergiebig genug, um sich und seine Familie zu ernähren und mit den überschüssigen Gewinnen in die Zukunft investieren zu können. Da er seit Jahren unter chronischen Rückenschmerzen litt, hatte er erst kürzlich eine der neuen Bohrmaschinen gekauft, die in Südaustralien entwickelt worden waren und seine Arbeit unvergleichlich einfacher und profitabler machte. Diese gigantischen Steinfresser kosteten über hunderttausend Dollar, trotzdem sah man immer mehr von ihnen zwischen den dürren Zweigen des Buschlandes emporragen. Auch Dave, der knochendürre Australier mit der Hakennase und dem unsteten Blick, der neben Jürgen stand und sich lachend in alle Richtungen drehte, weil er mehrere Unterhaltungen gleichzeitig führte, besaß solch eine schwere Maschine. Sein Claim war noch größer als der von Jürgen, und dementsprechend hoch war auch sein Ansehen in der dörflichen Gemeinde. Die Hierarchie im Ort war, wie auch in anderen Minenstädten, von der Größe des Besitzes und von der Größe der Funde abhängig. Ins Pub waren sie jedoch alle gekommen: Die mit den weit abgesteckten Claims, die so groß waren, dass man ihre Besitzer nie bei der Arbeit beobachten konnte, ebenso wie diejenigen, die ihrem Nachbarn vom Bohrloch aus Grüße zurufen konnten. Und dann gab es noch die Neuankömmlinge, die sich für eine geringe prozentuale Beteiligung verdingten; die Gescheiterten, die ihren Claim enttäuscht verlassen hatten und an einer anderen Stelle ihr Glück erneut versuchten; sowie die Betrogenen, denen der Partner mit einem gewinnbringenden Opalbrocken davongelaufen war, und die Hoffnungsvollen, die gerade eine kleine glitzernde, vielversprechende Straße an den Wänden ihrer Höhle entdeckt hatten.
    Alle waren sie heute gekommen, standen dicht gedrängt um die hohen runden Tische und unterhielten sich über den nicht enden wollenden Regen, der ihre Bohrlöcher mit Wasser füllte, die rote, staubige Erde in dunkelbraunen Schlamm verwandelte und sie dazu zwang, ihre Tage zu Hause und ihre Nächte im Pub zu verbringen.
    Jo Ann hatte keine Lust, sich zu einer der lärmenden Männergruppen zu gesellen, also suchte sie nach einem ihr bekannten Frauengesicht. Weiter hinten stand
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