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Die Auswanderinnen (German Edition)

Die Auswanderinnen (German Edition)

Titel: Die Auswanderinnen (German Edition)
Autoren: helga zeiner
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willst mich beschützen, aber könnt ihr zwei nicht endlich miteinander auskommen?“
    Ben genoss die Aufmerksamkeit seiner Herrin und hob nur einmal kurz den Kopf, als das Telefon im Haus zu klingeln begann.
    Jo Ann fuhr mit ihrer Arbeit fort, ohne sich um das Klingeln zu kümmern. Prüfend blickte sie zum Himmel. Die tief hängenden Wolken waren regenschwer und drohten sich bald zu entladen. Ein ominöses Zeichen für ein weiteres Unwetter. Die endlose, fast ebenerdige Weite des nördlichen Bundesstaates von New South Wales hatte sich durch die wochenlangen Regenfälle fast überall in matschigen Sumpf verwandelt, aus dem kahle, blattlose Sträucher wie Grabkreuze ragten. Die Zufahrtsstraßen waren unpassierbar, und das etwas erhöht liegende Lightning Ridge war dadurch, wie viele andere Dörfer in dem überschwemmten Gebiet, von der Außenwelt abgeschnitten. Seit sie hier lebte, war das schon öfter vorgekommen, aber meist nur im Herbst und nie so spät im Winter. Jetzt war es schon September, der Frühling hatte zumindest kalendarisch begonnen, und die Kraft der Sonne hatte in den letzten Tagen die oberste Schicht der roten Erde zu trockenem Staub verwandelt. Es war ein Paradox, dass sie selbst auf ausgedörrtem Boden saß, während sich das freie Land rings um sie herum abmühte, das überschüssige Wasser aufzusaugen. Aber wenn es heute zu regnen begann, würde auch das Dorf nicht verschont bleiben. Ihr Hof würde, genau wie alle anderen Höfe des Dorfes, schon nach dem ersten heftigen Guss im Schlamm stehen.
    Jo Ann öffnete die klapprige Tür der Wellblechhütte und bedeutete Ben, sich auf seinen Hochwasserplatz zu legen. Der alte Hund hatte Mühe auf die Kiste zu steigen. Sie breitete seine Decke neben der Schleifmaschine aus, füllte seinen leeren Wassernapf, nahm einen Karton vom Regal und schüttete einen zweiten Napf randvoll mit Trockenfutter.
    „Bleib hier liegen“, befahl sie leise. „Sollte das Wasser kommen, bist du hier sicher. Du weißt, ich kann dich nicht ins Haus holen, du dummer Hund.“ Mit einem liebevollen Klaps verabschiedete sie sich und ging zurück zum Haus. Die Wolken schienen noch schwerer geworden zu sein und die rasch auf sie zukommende Regenwand verdunkelte den Himmel, als hätte die Abenddämmerung bereits eingesetzt.
    Jo Ann beschloss, sich eine Kanne schwarzen Tees zu machen, um die Müdigkeit, die sie plötzlich überkommen hatte, wieder zu vertreiben. Dann schob sie den Korbstuhl zum Fenster, schlürfte ihren heißen Tee, starrte hinaus und beobachtete den aufziehenden Sturm. Sie sah den Wolken am Himmel zu, hörte den Regen und den Wind hinter der Fensterscheibe toben, und versuchte an nichts zu denken. Da klingelte erneut das Telefon.
    Jo Ann überlegte kurz, wer es wohl sein könnte, und tippte auf John. Im Pub war jetzt bestimmt schon die Hölle los. John würde sie davon überzeugen wollen, dass sie bei diesem scheußlichen Wetter eine Ausnahme machen sollte, obwohl er genau wusste, dass sie immer nur am Mittwoch auf ein Bier vorbeikam. Ohne Ausnahme, immer nur mittwochs. Sie wäre zu gerne auch mal an einem anderen Tag in die Kneipe gegangen, befürchtete aber, dass sie damit John noch mehr Kontrolle über ihre Träume zugestehen würde. Aus reinem Selbstschutz hatte sie sich deshalb von Anfang an eingeredet, dass auch er nur ein Mann wie jeder andere war, und sie ihm nicht trauen konnte. Auch wenn ihr die Aufmerksamkeit, die er ihr jeden Mittwoch entgegenbrachte, gut tat und ihre Fantasien nährte, sagte sie sich doch immer wieder, dass das Ausleben solcher Fantasien, mochten sie noch so reizvoll und befriedigend sein, die Leiden nicht wert waren, die unweigerlich darauf folgen würden. Sie war nicht mehr so naiv wie zu Beginn ihrer Ehe und wusste mittlerweile, dass man keinem Mann vertrauen konnte. Anfangs waren sie alle zärtlich, liebevoll und einfühlsam. John würde da auch keine Ausnahme machen, er war ledig, wie so viele Männer in Lightning Ridge, und eine Frau zu haben brachte einem einsamen Junggesellen in diesem abgelegenen Kaff ein gewisses Ansehen. Eine Frau im Haus bedeutete außerdem saubere Wäsche, besseres Essen, mehr Zeit für die Mine und den Pub, und vor allem, jede Nacht eine zum Bumsen. So sahen es die Männer, so und nicht anders! Und darum würde es letztendlich auch John gehen – mochte er sich im Vorfeld noch so einfühlsam zeigen. Nein! Sie würde sich nicht auf ihn einlassen. Trotzdem erlaubte sich Jo Ann in diesem Moment die Hoffnung,
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