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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten
Autoren: A. J. Kazinski
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wenigstens die Kinder freizulassen, bevor er sich umbringt.«
    »Vielleicht können wir ihm auch ausreden, sich das Leben zu nehmen!« Niels sah ihn missbilligend an. »Was meinst du, Leon?«
    »Bentzon, wann kapierst du endlich, dass es da draußen Typen gibt, die keinen Pfifferling wert sind. Das kostet doch alles Geld: Gefängnis, Invalidenpension, der ganze Scheiß.«
    Niels weigerte sich, auf Leons Zynismus einzugehen, und überhörte den Rest der Breitseite. »Er wird die Steuerzahler ein mittelgroßes Vermögen kosten.«
    »Was gibt’s sonst, Leon? Was wissen wir über die Wohnung?«
    »Zwei Zimmer. Man kommt gleich in den ersten Raum, es gibt keinen Flur. Wir nehmen an, dass er sich in dem Zimmer links befindet. Wir haben Schüsse gehört und wissen, dass sich zwei Kinder und eine Frau in der Wohnung aufhalten. Gehst du rein?«
    Niels nickte.
    »Er ist aber auch kein totaler Idiot.«
    »Wie meinst du das?«
    »Er weiß, dass es nur eine Möglichkeit gibt, sicherzustellen, dass der Vermittler weder bewaffnet noch verkabelt ist.«
    »Willst du damit sagen, dass ich mich ausziehen soll?«
    Tiefes Durchatmen. Leon sah Niels mitleidig an und nickte. »Ich hätte vollstes Verständnis, solltest du keine Lust haben. Wir können die Wohnung auch stürmen.«
    »Nein, nein, schon in Ordnung. Ist nicht das erste Mal.« Niels öffnete seinen Gürtel.
    ***
    Niels Bentzon war im kommenden Sommer seit fünfzehn Jahren bei der Mordkommission, die letzten zehn davon als Vermittler. Er war es, den man schickte, wenn jemand Geiseln genommen hatte oder damit drohte, sich das Leben zu nehmen. Meistens hatte er dabei mit Männern zu tun. Wenn die Aktienkurse abstürzten und die Wirtschaftsweisen die nächste Krise prophezeiten, kamen die Waffen auf den Tisch. Es überraschte Niels immer wieder, wie viele Waffen in den Wohnungen der Menschen im Umlauf waren. Pistolen aus dem Zweiten Weltkrieg, Jagdgewehre oder sonst irgendwelche Schießeisen ohne Genehmigung.
    »Mein Name ist Niels Bentzon, ich bin Polizist. Ich habe meine Kleider abgelegt, wie Sie es gefordert haben. Ich bin unbewaffnet und trage auch keinen Sender.« Er drückte die Tür vorsichtig auf. »Hören Sie mich? Mein Name ist Niels. Ich bin Polizist, und ich bin unbewaffnet. Ich komme jetzt rein. Ich weiß, dass Sie Soldat sind, Peter. Und ich weiß, wie schwer es ist, anderen Menschen das Leben zu nehmen. Ich komme nur, um mit Ihnen zu reden.«
    Niels stand reglos im ersten Zimmer der Wohnung und lauschte. Niemand antwortete ihm, er konnte aber den Gestank von Leben riechen, das zu Ende gegangen war. Langsam gewöhnten seine Augen sich an das Dunkel.
    In der Ferne bellte ein Köter. Für ein paar Sekunden war er einzig seinem Geruchssinn überlassen: Pulver. Niels stieß mit dem Fuß an eine Patronenhülse. Er nahm sie in die Hand – sie war noch warm – und las die Gravur: 9 mm. Dieses Kaliber kannte Niels gut. Vor drei Jahren hatte er sogar die Ehre gehabt, von einem in Deutschland produzierten Projektil dieses Kalibers in den Oberschenkel getroffen zu werden. Irgendwo in der obersten Schublade von Kathrines Schatulle hatte er das Projektil versteckt, das der Chirurg wieder rausgeholt hatte. Ein 9 mm Parabellum Geschoss. Das häufigste Kaliber der Welt. Der Name Parabellum stammte aus dem Lateinischen. Niels hatte in Google nachgeschaut: Si vis pacem, para bellum – wenn du Frieden willst, bereite dich zum Krieg . Das Motto der deutschen Firma: Deutsche Waffen-und Munitionsfabriken , die das deutsche Heer in beiden Kriegen mit Munition versorgt hatte. Frieden hatte sie keinen gebracht.
    Niels legte die Patronenhülse wieder auf den Boden. Er dachte nach. Er musste die unangenehmen Erinnerungen loswerden, bevor er weitermachte. Sonst würde die Angst die Oberhand gewinnen. Die kleinste Vibration seiner Stimme konnte den Geiselnehmer nervös machen. Kathrine – er dachte an Kathrine. Das durfte er nicht, sonst würde er diese Aufgabe ganz sicher nicht meistern.
    »Bist du okay, Bentzon?«, flüsterte Leon irgendwo hinter ihm.
    »Leon, mach die Tür zu«, antwortete Niels barsch.
    Leon gehorchte. Das Licht der Scheinwerfer vorbeifahrender Autos fiel durch die Fenster, und Niels sah sich einen Moment lang in der Scheibe. Blass, verängstigt, nackt und wehrlos. Er fror.
    »Ich stehe in Ihrer Wohnung, Peter. Mein Name ist Niels. Ich warte darauf, dass Sie mit mir sprechen.«
    Niels war ruhig. Vollkommen ruhig. Er wusste genau, dass Verhandlungen dieser Art die ganze
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