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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autoren: Thomas Glavinic
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sich in einem Glas Wasser zischend auflöste, ging er unter die Dusche. Er zog Sportkleidung an. Das Glas trank er in einem Zug leer.
    Als er aus dem Schatten des Hauses trat, schaute er nach links und rechts. Er ging ein paar Meter, drehte blitzartig den Kopf. Er blieb stehen. Horchte. Nur das Plätschern des Donaukanals drang gedämpft an sein Ohr. Den Kopf reckend, suchte er hinter den Fenstern der Häuserzeile nach Bewegung.
    Nichts.
    Er lief zurück ins Haus und hinab ins Tiefgeschoß. In seinem Kellerabteil kehrte er im Werkzeugkasten das Unterste zuoberst, ohne etwas Passendes zu finden. Nach einer Weile erinnerte er sich an die Rohrzange, die er neben einem Reifenstapel deponiert hatte.
    »Ist hier jemand?«
    In der weiten Kassenhalle des Westbahnhofs klang seine Stimme lächerlich schwach.
    Die Zange an der Schulter, stapfte er die Treppe hinauf zur Wartehalle. Die Wechselstube, der Zeitungsladen, die Stehcafés, alles war geschlossen.
    Er ging hinaus zu den Bahnsteigen. Mehrere Züge standen da wie abfahrbereit. Er ging zurück in die Wartehalle. Wieder hinaus zu den Bahnsteigen.
    Zurück.
    Hinaus.
    Er sprang in den Intercity nach Bregenz. Waggon um Waggon, Abteil um Abteil durchsuchte er den Zug. Die Zange hielt er fest in der Hand. Beim Betreten der muffigen Waggons rief er laut. Zuweilen hustete er, räusperte sich so kräftig, als sei er dreißig Kilo schwerer. Mit der Zange donnerte er gegen die Wand, um möglichst viel Krach zu machen.
    Zu Mittag hatte er den letzten Winkel des Bahnhofs erforscht. Alle Züge. Alle Büros der Bundesbahnen. Die Lounge. Das Restaurant, in dem er ein paarmal miserabel gegessen hatte und in dem es noch immer nach Fett stank. Den Supermarkt. Das Tabakgeschäft. Das News & Books. Mit der Zange hatte er Scheiben und Glastüren eingeschlagen und heulende Alarmanlagen abgeklemmt. Hinterzimmer von Hinterzimmern hatte er durchsucht. Zwei Tage altes Brot wies darauf hin, wann zuletzt jemand dagewesen war.
    Die große Tafel in der Mitte der Wartehalle zeigte weder ankommende noch abfahrende Züge an.
    Die Uhren funktionierten.
    Der Bankomat warf Geld aus.
    Am Flughafen Schwechat machte er sich nicht die Mühe, den Wagen im Parkdeck abzustellen und den langen Weg zurückzulaufen. Er blieb direkt vor dem Haupteingang im Halteverbot stehen, wo gewöhnlich Polizisten und Spezialkräfte patrouillierten.
    Hier draußen war die Temperatur etwas milder als in der Stadt. Fahnen flatterten geräuschvoll im Wind. Die Augen mit der Hand beschattend, hielt er am Himmel nach Flugzeugen Ausschau. Er spitzte die Ohren. Das Knattern der Fahnen war alles, was er hörte.
    Mit der Zange über der Schulter marschierte er durch matt beleuchtete Gänge zur Abflugsebene. Auf den Tischen vor dem Café steckten Getränkekarten in ihren Halterungen. Das Café war geschlossen, ebenso wie das Restaurant und das Pub. Die Lifts funktionierten. Der Weg zu den Lounges war frei. Die Tafeln kündigten keine Flüge an. Die Bildschirme waren dunkel.
    Er durchkämmte den ganzen Bereich. Als er eine Sicherheitsschleuse passierte, ging der Alarm los. Auch einige Hiebe mit der Zange beendeten das Heulen nicht. Unruhig sah er sich um. An der Wand hing ein Schaltkasten. Er drückte einige Knöpfe. Endlich kehrte Stille ein.
    Auf der Ankunftsebene machte er sich an einem Computerterminal zu schaffen. Er versuchte herauszufinden, wann das letztemal ein Flugzeug gestartet oder gelandet war. Doch entweder ging er ohne jeden Sachverstand an das Problem heran, oder der Computer war defekt. Auf dem Bildschirm flimmerten nutzlose Tabellen, und kein Manöver an Maus und Tastatur vermochte das zu ändern.
    Er verirrte sich einige Male, bis er das Treppenhaus fand. Er lief hinaus aufs Rollfeld.
    Die meisten an den Brücken hängenden Flugzeuge gehörten den Austrian Airlines. Eine Lauda war da, eine Lufthansa, eine Maschine aus dem Jemen, eine aus Belgien. Weiter hinten stand eine 727 der El-Al. Von allen interessierte ihn dieses Flugzeug am meisten. Wieso stand es so weit draußen? War es im Begriff gewesen zu starten?
    Als er bei der Maschine ankam, hockte er sich hin. Er blickte schnaufend nach oben und dann zurück zum Gebäude. Er war enttäuscht. So weit draußen stand sie gar nicht, da hatten ihm die Dimensionen des Rollfelds einen Streich gespielt. Auch sonst wies nichts darauf hin, daß der Pilot auf dem Weg zur Startbahn gewesen war.
    Jonas begann zu rufen. Er schleuderte die Zange hoch, wobei er sich bemühte, zunächst das
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