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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht
Autoren: Marisha Pessl
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Transkript gefaxt. Hier steht, du hast Martin Bashir unterbrochen, um zu verkünden, jemand müsse Cordova ›auslöschen‹.«
    »Das war
ironisch
gemeint.«
    »Im Fernsehen gibt es keine Ironie, Scott.«
    Selbstverständlich hörte ich nie wieder von
John
. Er tauchte ab.
    Cordovas Anwälte argumentierten, ich hätte nicht nur das Leben Cordovas und seiner Familie aufs Spiel gesetzt, sondern auch den anonymen Anruf nur vorgetäuscht – ich sei von meinem Apartment aus einen Block zur Telefonzelle gelaufen und habe
mich selbst
angerufen, um die erfundene Quelle nachweisen zu können.
    Ich lachte über diese absurde Anschuldigung – doch dann musste ich alles zurücknehmen, weil ich das Gegenteil nicht beweisen konnte. Selbst mein Anwalt äußerte sich nicht klar, ob er mir glaubte oder nicht. Er konnte sich vorstellen, dass es John gab, dass ich ihn aber durch mein
skrupelloses Verhalten
verschreckt hatte.
    Ich hatte keine andere Wahl, als den Rechtsstreit beizulegen und meine Schuld einzugestehen, zwar nicht
vorsätzlich
, aber
grob fahrlässig die Wahrheit missachtet
zu haben. Ich zahlte Cordova 250 000  Dollar Schadensersatz, das war ein guter Teil dessen, was ich durch meine Bücher und Geschichten verdient und angespart hatte. Ich hatte meine Karriere auf bedingungsloser Integrität aufgebaut, und die war jetzt dahin. Ich wurde beim
Insider
Magazin gefeuert, meine Kolumne im
Time
Magazin wurde gestrichen. Zuvor hatte es Vorbereitungsgespräche über eine wöchentliche, investigative Nachrichtensendung bei CNN gegeben. Jetzt war die Idee lachhaft.
    »McGrath ist wie ein verehrtes Sportidol, das beim Doping erwischt wurde«, erklärte Wolf Blitzer. »Wir müssen alles in Frage stellen, was er geschrieben hat, und alles, was er je gesagt hat.«
    »Du solltest dir überlegen, als Lehrer oder als Coach zu arbeiten«, meinte mein Agent. »Als Journalist bist du im Augenblick nicht vermittelbar.«
    Dieser Augenblick dauerte an.
Der in Ungnade gefallene Journalist
klebte an meinem Namen wie bei anderen der Zusatz
Ex-Häftling
. Ich war ein »Symptom für den schludrigen Zustand der amerikanischen Berichterstattung«. Bei YouTube wurde ein Mashup-Video veröffentlicht, in dem ich neununddreißigmal (meine Stimme war durch Auto-Tune verfremdet) »
jemand muss diesen Kerl auslöschen
« wiederholte.
    Ich gab die Recherche auf. In der Nacht, in der ich diese Entscheidung traf und meine Notizen wegpackte, war ich in den Verleumdungsstreit verwickelt. Cynthia und Sam waren ausgezogen und hatten eine so absolute Stille hinterlassen, dass ich mich fühlte, als wäre ich ohne meine Zustimmung operiert worden. Ich war zwar am Leben, aber ich hatte das diffuse Gefühl, dass in mir etwas dauerhaft nicht funktionierte. Es war außer Reichweite, irgendein lebenswichtiger Nerv, der eingeklemmt war, ein inneres Organ, das versehentlich falsch herum wiedereingesetzt worden war. Ich spürte nur diese Wut auf Cordova – der sich geschickt hinter seinen Anwälten versteckte –, und diese Wut war besonders schlimm, weil ich wusste, dass sie eigentlich gegen
mich selbst
gerichtet war, wegen meiner Arroganz und Dummheit.
    Denn ich wusste, dass mein Niedergang kein Zufall war. Cordova hatte einen Weitblick und eine Intelligenz bewiesen, die ich nicht erwartet hatte, und mich überlistet. Ich war am Boden, ausgeknockt, der Kampf war vorbei, der Sieger stand fest – bevor ich überhaupt richtig in den Ring gestiegen war.
    Man hatte mir eine meisterhafte Falle gestellt. John war der Köder gewesen. Cordova hatte gemerkt, dass ich hinter ihm her war, und mich mit dem anonymen Anrufer aus der Reserve gelockt. Er hatte mit fast übermenschlichem Scharfblick gewusst, dass der unheimliche Hinweis des Mannes –
er stellt irgendwas mit den Kindern an
 – bei mir einen wunden Punkt treffen würde, und dann hatte er sich zurückgelehnt, während ich mein eigenes Grab schaufelte.
    Und trotzdem, wenn Cordova wegen meiner Recherche so beunruhigt war, dass er einen so großen Aufwand betrieb, mich loszuwerden – was hatte er zu verbergen? Etwas noch Brisanteres?
    Ich hatte beschlossen, es dabei zu belassen, mich nicht mehr damit zu beschäftigen und stattdessen zu versuchen, wieder so etwas wie ein
Leben
zu haben.
    Aber jetzt war ich wieder da.
Ich kippte den Rest Scotch hinunter, griff nach einem weiteren Stapel Papier und fand nach wenigen Minuten, wonach ich gesucht hatte.
    Es war ein dünner brauner Briefumschlag. Vorne
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