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Die amerikanische Nacht

Die amerikanische Nacht

Titel: Die amerikanische Nacht
Autoren: Marisha Pessl
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an meiner Schulter, der Sonnenaufgang über einem verschneiten Berg, der so rosa ist wie eine Rose, mein Sohn.
     
    In allen Artikeln, die ich über Ihr Werk gelesen habe, wird angedeutet, Sie seien anspruchsvoll und exzentrisch, ein grausamer Diktator, sogar ein Sadist. Die Times schreibt in der Besprechung von »Irgendwo in einem leeren Raum«, das Ende – das keinen Aufschluss darüber gibt, ob der Held mit dem Leben davonkommt – weise darauf hin, dass Sie eine Kindheit wie aus einem Horrorfilm gehabt haben müssen. Nur so ließe sich Ihre so eiskalte Sicht der Menschheit erklären. Wie war Ihre Kindheit?
     
    SC : Ich wuchs bei meiner alleinerziehenden Mutter in der Bronx auf. Wir waren arm. Ich habe oft die Schule geschwänzt, bin mit der Subway in die Stadt gefahren und habe in Cafés, Busbahnhöfen und Stripclubs gesessen. In dieser Zeit habe ich gelernt, dass der menschliche Verstand ein dunkler, überwucherter Ort ist. Die Gesellschaft versucht, den Rasen zu mähen und die Pflanzen zurückzuschneiden, aber jeder einzelne von uns ist nur wenige Tage von einem wilden Dschungel entfernt. Und für diesen Dschungel interessiere ich mich.
     
    "DER MENSCHLICHE VERSTAND IST EIN DUNKLER, ÜBERWUCHERTER ORT"
     
    Sie umgibt ein undurchdringliches Kraftfeld, wenn es um die Frage geht, wie es ist, in einem Ihrer Filme mitzuspielen. Wieso?
     
    SC : Können Ehepaare erklären, was passiert, wenn die Gäste gegangen und die Teller abgeräumt sind, wenn die Schlafzimmertür zu ist und das Licht ausgeht? Was zwischen den Menschen geschieht, die ich ausgewählt habe, um eine Geschichte zu erzählen, bleibt ein Geheimnis zwischen ihnen und mir. Sie geben sich ganz dieser Arbeit hin, weil sie wissen, dass ich auf sie aufpasse, dass ich sie, manchmal gegen ihren Willen, zum Rand des Abgrundes führe. Sie müssen selbst entscheiden, ob sie die Augen schließen und weglaufen wollen – oder hineinsehen.
     
    Zum Rand des Abgrundes? Klingt ein bisschen gefährlich.
     
    SC : Todesangst ist so überlebenswichtig wie die Liebe. Sie berührt den Kern unseres Daseins und lässt uns erkennen, wer wir wirklich sind. Trittst du einen Schritt zurück und schließt die Augen? Oder hast du die Kraft, dich dem Abgrund zu nähern und hinabzusehen? Willst du wissen, was dort unten ist, oder willst du in der dunklen Illusion leben, in der uns diese Welt des Kommerzes eingeschlossen hält wie ein ewiger Kokon in ihrem Inneren die blinden Raupen? Wirst du dich mit geschlossenen Augen zusammenrollen und sterben? Oder kannst du dich davon befreien und fliegen?
     
    Welche Einstellung aus allen Ihren Filmen mögen Sie am liebsten?
     
    SC : Die extreme Großaufnahme des Auges in »Figuren«. Für diese Einstellung haben wir tatsächlich mein Auge verwendet. Sie ist souverän, tödlich und perfekt.
     
    Was bedauern Sie?
     
    SC : Dass wir diejenigen zerstören, die wir lieben.
     
    Wieso sind die Themen Ihrer Filme so verstörend?
     
    SC : Man muss eine Weile auf der Schattenseite der Straße gegangen sein, um die Sonne zu spüren, wenn sie einem auf die Schultern fällt.
     
    Ihre Frau, Genevra, ist vor wenigen Monaten in einem See auf Ihrem Grundstück ertrunken.
     
    SC : Ja.
     
    Wie hat sich diese schreckliche Tragödie auf Sie ausgewirkt?
     
    SC : Ich kann das nur mit einem Bild beschreiben – ein Rennpferd mit einem zerschmetterten Vorderbein, das nicht mehr stehen kann. Irgendwann begreift diese Kreatur, dass es nichts anderes mehr geben kann, dass sie am Boden liegen bleiben und für das, was sie getan hat, leiden muss. Sie ist zu schnell gelaufen, hat sich völlig verausgabt, hat sich die Kräfte nicht eingeteilt, keine Energie für den Heimweg gespart. Das ist der Preis, den wir für ein solches Leben zahlen. Unsere Leben sind Blumen, die in strahlenden Farben erblühen und dann verschwinden.
     
    Meine Filme sind bloß Geschichten. Aber das ist alles, was wir haben. Die Geschichten, die wir anderen erzählen, und die, die wir uns selbst erzählen. Wenn man sich mit älteren Menschen unterhält, die am Ende ihres Lebens angekommen sind, sieht man, was bleibt, wenn der Körper verfällt. Unsere Geschichten. Unsere Kinder müssen entscheiden, ob man sie weiter erzählt oder nicht.
     
    "UNSERE LEBEN SIND BLUMEN, DIE IN STRAHLENDEN FARBEN ERBLÜHEN UND DANN VERSCHWINDEN."
     
    Was kommt als Nächstes für Sie – in Ihrem Leben, Ihrer Arbeit, in der Liebe?
     
    SC : Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich mich kurz mal
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