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Die Affäre Mollath - kompakt: Der Mann, der zu viel wusste

Die Affäre Mollath - kompakt: Der Mann, der zu viel wusste

Titel: Die Affäre Mollath - kompakt: Der Mann, der zu viel wusste
Autoren: Uwe Ritzer , Olaf Przybilla
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die Psychiater erklärten ihn für krank und nahmen ihn stationär auf. Sieben weiteren, kerngesunden Probanden, die Rosenhans Selbstversuch in verschiedenen Kliniken wiederholten, erging es genauso. »Die Ärzte hielten sie bis zu 52 Tage fest und verschrieben ihnen fast 1200 Tabletten«, beschreibt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. »Ihre Diagnosen entpuppten sich als reine Willkür. Gesunde waren von Irren nicht zu unterscheiden.«
    Wie weit darf aber ein Rechtsstaat beim Freiheitsentzug gehen? Wie muss eine humane und gerechte Psychiatrie aussehen, die gefährliche Täter isoliert und der Allgemeinheit entzieht, aber verhindert, dass geheilte oder gar unschuldige Menschen ihr Leben lang weggesperrt bleiben?
    Die Politik wäre hier längst gefordert. Es geht um eine Reform von Paragraph 63 des Strafgesetzbuches, mit dem Richter Straftäter als vermindert schuldfähig oder schuldunfähig statt ins Gefängnis in die Psychiatrie schicken können. Wobei dann, anders als bei einer Haftstrafe, kein Ende der Unterbringung in Sicht ist. Die jährlichen Prüfungen des Gerichtes folgten zumindest im Fall Mollath einer gewissen formalen Routine. Es bräuchte dringend neue Regeln, fordern Juristen schon länger. Neue Regeln, die die Gesetzgebung, die Politik also, schaffen müsste.
    Dem Kirchenvater Ambrosius von Mailand (339–397) wird dieses Zitat zugeschrieben: »Gerechtigkeit gibt jedem das Seine, maßt sich nicht Fremdes an und setzt den eigenen Vorteil zurück, wo es gilt, das Wohl des Ganzen zu wahren.« Der Spruch zierte zumindest eine Zeitlang die erste Seite im Internetauftritt des bayerischen Justizministeriums. Das Wohl des Ganzen – Justiz und Politik sollten es gleichermaßen im Blick haben. Doch wie man als Politikerin nicht reagieren sollte, noch dazu als zuständige Justizministerin, stellte ausgerechnet die bayerische CSU-Politikerin Beate Merk im Fall Mollath eindrucksvoll unter Beweis.
    Empört wies sie monatelang auch nur den geringsten Zweifel daran zurück, dass in dieser Causa irgendetwas schief- oder fragwürdig gelaufen sein könnte. Der Mann sei rechtskräftig verurteilt und damit sei alles in Ordnung, lautete, auf den Punkt gebracht, die Argumentation der Ministerin. Basta. So einfach ist das also. Als der Wiederaufnahmeantrag der ihr indirekt unterstellten Regensburger Staatsanwaltschaft vorlag, war klar, dass es sehr wohl gute Gründe gibt, die Affäre Mollath neu zu beurteilen. Damit war die monatelange Verweigerungsargumentation der Ministerin und des Nürnberger Generalstaatsanwalts Hasso Nerlich endgültig ad absurdum geführt. Gewissermaßen von ihren eigenen Leuten.
    Merk zu kritisieren, weil sie in rechtsstaatliche Verfahren nicht eingreifen wollte und Mollath nicht gleichsam persönlich von heute auf morgen in die Freiheit entließ, ist allerdings gefährlicher Unsinn. Denn das wäre pure politische Willkür und hätte mit der Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat nichts zu tun. Aber: Justizministerin Merk hat beim Krisenmanagement versagt.
    Sie hätte sich eines Vorworts besinnen müssen, das sie selbst für die Publikation Justiz in Bayern ihres eigenen Ministeriums geschrieben hat. Zitat Merk: »Zu den Voraussetzungen einer lebendigen Demokratie gehört, dass die Tätigkeit der Justiz vom Rechtsbewusstsein der Bürger getragen wird.«
    Genau diese Akzeptanz des Rechtsstaates wird durch die Merkwürdigkeiten, Fehler und Widersprüche in der Affäre Mollath untergraben. Merk hätte gut daran getan, von sich aus die Umstände des Falles zu prüfen. Und nicht zu warten, bis Ministerpräsident Horst Seehofer sie quasi dazu anwies.
    Ein Gutachter schrieb einmal treffend über Gustl Mollath, er sei »am Rechtsstaat verzweifelt«. Man könnte auch sagen, dass sein Fall ein Lehrstück dafür ist, was in einem Rechtsstaat alles nicht geschehen darf. Ein exemplarischer Fall.

Chronologie
    7. November 1956: Gustl Mollath wird in Nürnberg als zweiter Sohn einer Unternehmerfamilie geboren.
    1977 Abitur an einer Schule in Herne, Nordrhein-Westfalen
    1978 Beginn eines Maschinenbaustudiums in Nürnberg
    1980 Beginn eines Aufbaustudiums zum Wirtschaftsingenieur in Rosenheim. Abbruch, um sich um die kranke Mutter zu kümmern
    1981 Anstellung in der Controlling-Abteilung bei MAN
    Mitte der 80er Jahre beginnt Mollath, sich einen eigenen Laden aufzubauen, ein Geschäft für Motorradreifen und -zubehör. Später erweitert er das Geschäft um eine Oldtimer-Restaurierungswerkstatt. Diese schließt im
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