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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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länger! Seien Sie froh!«
    Ich bin nicht froh. Und mich reizt diese Mischung aus Naivität und Pragmatismus. Na, Liebe, wenn dich nicht schon bald ein Dichter frißt.
    *
    Gabriel ist wieder da, zurück aus der Klinik. Er steht vor meiner Schafstalltür, sauber, rasiert, im karierten gelbbraunen Jackett und senfgelben Cordhosen, die weißen Strähnen fliegen um seine Platte. Wir umarmen uns. Er zieht eine Flasche Grappa aus einer Papiertüte. Wir stoßen an. » Schön, daß es dich gibt, Henry!« sagt er herzlich, sinkt in den Sessel und schluchzt zweimal.
    Er erklärt mit bebender Stimme, seine Anna vertrage die Chemo ganz schlecht. Er will mir sein Leid klagen, doch das wiederum vertrage ich schlecht. » Wir alten Kämpen«, sagt er. » Wir müssen zusammenhalten! Unser ganzes Leben haben wir …«
    Hier scheint mir, er übertreibt. Wir stammen beide aus dem Erzgebirge, das ist aber alles. Er ist älter, er war noch Soldat und wurde nach der Kriegsgefangenschaft zur Arbeit im Uranbergbau gezwungen. Dann türmte er und machte im Westen eine bescheidene Karriere als Abteilungsleiter in einer Keramikfabrik. Dichtete nebenbei. Führte eine glücklose Ehe, obwohl – oder weil – er einen mächtigen Schlag bei Frauen hatte. Als ich Mitte der Siebziger erstmals in den Westen durfte, lud er mich sofort zu einer Lesung ein. Er zitierte meine Gedichte auswendig. In seinem Literaturzirkel, der aus einem andächtigen Kreis ihm ergebener Frauen bestand, führte er mich als einen der » Drei großen Sachsen« ein und begann aus Begeisterung zu sächseln; die Frauen schmolzen dahin. Übrigens mochte er mir nicht verhehlen, daß diese Frauen, seine Sponsorinnen, ihm nicht nur aus Kunstliebe hörig seien. Ich glaubte es sofort. Er trat vital und generös auf, kein athletischer, aber ein sinnlicher Mann mit einem strahlenden fleischlichen Zynismus. Als er mich Mitte der Achtziger wieder einlud, wirkte er immer noch vital und generös, aber auf den zweiten Blick zerrüttet. Er bestand darauf, mich zu beherbergen, und ich erschrak über die winzige, schmuddelige Wohnung, in die er nach seiner Scheidung gezogen war. In der Küche stapelten sich die leeren Flaschen, wir wateten durch Staub. » Na und?« rief er. » Die feinen Damen besuchen mich noch immer! Hier finden sie das, was ihnen ihr Bankdirektor zwischen den Seidenlaken schuldig bleibt«, und so weiter.
    Heute klingt er anders. » Was war ich verkommen. Gevögelt habe ich, was die Vorhaut hielt, aber ohne Herz, ein zielloses, rüdes Leben. Erst mit Anna habe ich die Liebe kennengelernt. Anna hat mich von der Keramikfabrik befreit. Sie sagte: Gabriel, du bist ein Diplomat und Organisator, du kennst die Kunst und liebst die Künstler, machen wir doch das zu deinem Beruf! Gemeinsam reisten wir durch das Land und entdeckten in Staverfehn die beiden verfallenden Höfe – wir hatten sofort dieselbe Vision. Wir entwickelten das Konzept, fanden Sponsoren … Ohne Annas ministeriale Kontakte wäre es nicht gegangen, aber auch die Gestaltung ist von ihr, die Aufteilung der Häuser, die Einrichtung der Wohnungen – sogar die Kacheln im Kaminzimmer hat sie ausgesucht. Hier sind wir zur Ruhe gekommen. Hier wollten wir zusammen alt werden. Und jetzt bricht alles zusammen!«
    Ich habe Anna vielleicht dreimal getroffen. Sie ist breit, flachbrüstig, gepflegt und hat eine spitze Nase im skeptischen Gesicht unter der Zwiebelturm-Frisur. Anna hält Distanz, sie siezt alle so konsequent, wie Gabriel uns duzt. Von Beruf war sie Oberstudiendirektorin, doch sie arbeitete nicht in der Schule, sondern im Ministerium, jedenfalls bis kürzlich: eine der vielen verklemmten Akademikerinnen, die Gabriel immer so gern und stolz erlöste. Ich stelle mir vor, wie die willensstarke Anna und der lüsterne Gabriel einander erlösten, während ich einsam in Speyer verzweifelte – Mißgunst, ja, obwohl ich weiß, daß ich dankbar sein sollte für dieses Künstlerhaus, das sie zu meiner vorübergehenden Rettung gegründet haben. Seine Statur, ihre Initiative, seine Herzlichkeit, ihr Geschmack, was will man mehr? Nichts bricht zusammen. Das Künstlerhaus floriert, Gabriel ist ein beliebter Gastgeber. Anna verträgt die Chemo schlecht, na und? Das kann passieren, aber warum soll die Westmedizin sie nicht heilen? Ich kann das Traumpaar nur beneiden. Wenn eine Lage wirklich hoffnungslos ist, dann meine.
    *
    Schon drei Nächte ohne Alpträume. Korrekturfahnen sind abgegeben, die östlichen Weisheiten in Zweiviertel-
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