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Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation

Titel: Deutsches Elend. 13 Erklärungen zur Lage der Nation
Autoren: Arno Schmidt
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Feigling ! »Tröstlich« ? : gewiß, etwas mit ›Trost‹ ist es : aber bestenfalls ›trostlos‹ ! Und ein »innerliches Buch« ? : wohl uns, daß es, kalt und aufs erhabenste sachlich, die Außenwelt nicht umgeht!

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    In einer kleinen Küstenstadt der Ostsee - schade, daß kein exakter Name dasteht: immer besser, Namen zu nennen; ansonsten provoziert man eben feinsinnige Bemerkungen, wie die erwähnte vom »unaufdringlichen Gleichnis« ! – treffen, zu einer Zeit, da die KPD wieder einmal verboten ist – hier hätte die Jahreszahl 1937 getrost wegbleiben können : man sieht, ich habe durchaus den Mut auch zur Inkonsequenz ! – zufällig sechs Gestalten zusammen.
    »Der Junge«; Gregor, der KPD=Funktionär; Judith, die Jüdin; am Ort selbst befinden sich der Pfarrer Helander; Knudsen der Fischer und Kutterbesitzer; als Letzter die Holzplastik des ›Lesenden Klosterschülers‹.
    Von 2 dinosaurierroten Türmen überragt die graue Rundumkulisse – fast wäre auch ich eben der Versuchung erlegen sie ›zeitlos‹ zu nennen; aber leider paßt sie allzu genau auf Deutschland, vom ›Soldatenkönig‹ an bis heute – : plattsohlige Philistrosität birgt sich wohlgenährt; Gleichgültigkeit trottet ihrem Broterwerb nach; die übliche gutbürgerliche Stagnation. »Uniformiertes Fleisch geht um«, in Gestalt der SS=förmigen »Anderen«.
    Und die sechs Gestalten – alle Andern bleiben angemessene Schattenhaftigkeiten – haben kein anderes Anliegen, als Deutschland zu verlassen.
    Beim »Jungen« ist es nicht nur Reiselust, sondern das dumpfe Wissen, daß in diesem Sumpf kein Stein Ringe macht: wer wirklich und voll leben will, muß hier fort.
    Judith ist Jüdin – es erübrigt sich in Deutschland jedes Wort.
    Gregor, ein junger harter Intellekt, gehört einer verfolgten Partei an; aber »es gibt im Emsland ein paar Übergänge, die todsicher waren; er würde sie schon ausfindig machen.« Zudem ist er eben in Begriff über seine Partei hinauszuwachsen – auch dies gut und realistisch : ein Deutscher, der nie in seinem Leben, zu gewissen Zeiten (die durchaus sehr verschieden liegen können !), Kommunist war, oder Nietzsche=gläubig: an dem ist nicht viel verloren !
    Altkommunist Knudsen's Frau ist geistesschwach und in Gefahr, von den Andern abgeholt=vergast zu werden; aber er hat sie gern, dazu sämtliche Parteien satt – und 1 Motorkutter.
    Der Pfarrer Helander, ein alter beinamputierter Mann, der ohnehin nicht mehr lange zu leben hat, hat endlich begriffen »daß man einen Gott, der den Seinen nicht beistand, züchtigen müsse« : nicht schlecht! (Obwohl diese Erkenntnis peinlich spät eintritt; es wäre besser, Helander wäre weiter gekommen; zu der noch tieferen Einsicht: daß er, der Mensch, besser als Gott ist. Und dann vielleicht noch : daß der Betreffende wohl gar nicht ›Gott‹ heißt; eher ›Leviathan‹; und daß – falls unsere Welt schon ein ›Werk‹ ist, – man so ehrlich sein sollte, hinzuzusetzen: das eines Halbirren).
    Am dauerhaftesten der hölzerne Klosterschüler, der allmählich zum ›Lesenden‹ schlechthin wird, zum Wißbegierigen und kritisch Forschenden – das aber ist in Deutschland stets fehl am Platze: wozu auch, wo ›die Wahrheit‹ doch längst bekannt ist; sei es der NSDAP oder den Kirchen ?!
    ›Folglich‹ ist für alle die Sechs kein Platz in Deutschland !
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    Und – nicht nur der Klügere gibt ja nach – : sie Alle verlassen das strotzend stapellaufende Schiff!
    Es geht die frische wertvolle Abenteuerlust in Gestalt des Jungen. Es geht – in den Freitod – der Pfarrer Helander; weil sein Gott versagt hat. Es geht der arbeitsam derbe Fischer, dem man die Frau wegbiologisieren will. Es geht der kalt=wilde hoffnungsvolle Intellekt Gregors.
    Es geht die Schönheit Judiths.
    Es gehen Kunst und Wissenschaft, unverhüllt verkörpert im Bild des Lesenden. —
    : Was übrig bleibt, ist Deutschland, das= Land=aus=dem=man=flüchtet.
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    Nichts zu sagen von den eingehend beschriebenen Techniken erzwungen=vorbedachter Emigration : wie nachdenklich, daß ein solches Buch gerade heute erscheint.
    Wie aufschlußreich !
    Denn – trommeln wir doch nicht auf unsre Brüste, sondern schlagen wir daran ! – : auch bei uns ist wieder die KPD verboten. Auch bei uns werden schon wieder jüdische Friedhöfe geschändet. Auch bei uns geht allenthalben wieder »Uniformiertes Fleisch« um. Auch ›uns‹ gilt – man sei doch ehrlich – Barlach oder der Expressionismus
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