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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Autoren: Umberto Eco
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produziert werden, in denen Leute mit megagalaktischen Maschinengewehren schießen, um Gehirnmasse spritzen und Blutströme fließen zu lassen. Aber man muß unterscheiden zwischen fiktiven Spielen, die unschuldige Kinder verwirren oder Schwachsinnige zu abartigem Verhalten verführen können, und der Chronistenpflicht.
    Hinsichtlich der Todesstrafe teilt sich die Welt in zwei Kategorien: diejenigen, die sie verurteilen (wie ich), und diejenigen, die sie für notwendig halten. Falls diejenigen, die sie verurteilen, einen schwachen Magen haben, können sie ja den Fernseher abschalten, wenn eine Hinrichtung übertragen wird. Aber sie würden zumindest in einer gewissen Weise am Ausdruck der Trauer teilnehmen. Wenn in dieser Stunde ein Mensch getötet wird, sollen alle irgendwie teilnehmen, sei’s auch nur, indem sie still beten oder laut im Kreis der Familie Pascal vorlesen. Sie sollen wissen, daß in diesem Augenblick etwas Abscheuliches geschieht. Und wenn sie zusehen, werden sie sich noch mehr darin bestärkt fühlen, diese Barbarei abzulehnen, ohne bloß zu sagen, daß sie nicht damit einverstanden sind
    - wie ja der Anblick eines unterernährten afrikanischen Kindes auf dem Bildschirm das gute Gewissen eines jeden zumindest ankratzt.
    Sodann gibt es jene, die für die Todesstrafe eintreten. Und diese müssen die Hinrichtung sehen. Ich höre schon den Einwand: Man könne der Ansicht sein, daß es gut ist, Blinddarmoperationen vorzunehmen, aber man brauche sich die nicht anzusehen, schon gar nicht beim Abendessen! Bei der Todesstrafe geht es aber nicht um eine Operation, über die sich alle einig sind. Es geht um den Sinn und den Wert des menschlichen Lebens und der Gerechtigkeit. Also machen wir keine Geschichten. Wenn du für die Todesstrafe bist, mußt du auch bereit sein, dir anzusehen, wie der Verurteilte zuckt und strampelt, wie er sich aufbäumt und sich erbricht, wie er hustet und geifert und seine arme Seele Gott übergibt. Früher waren die Leute ehrlicher, sie kauften sich Eintrittskarten, um der Hinrichtung beizuwohnen, und genossen das Schauspiel mit Hingabe. Auch du, der du für die hehre Justiz der Todesstrafe eintrittst, sollst sie »genießen«: essend, trinkend, mach dabei, was du willst, aber du kannst nicht so tun, als ob sie nicht stattfände, während du ihre Legitimität vertrittst.
    Du sagst: »Und wenn meine Frau gerade schwanger ist und hinterher eine Fehlgeburt hat?« Na und? Der neue Katechismus räumt ein, daß Staaten die Todesstrafe einführen dürfen. Er sagt auch, daß man nicht abtreiben darf, aber nur, wenn man es willentlich tut. Wenn man eine Fehlgeburt hat, während man einen Sterbenden mit den Füßen ins Leere treten sieht, ist es keine Sünde.
    1993
New York, New York, what a beautiful town!
    Es gibt viele Städte im Ausland, die ich sehr liebe und in die ich immer wieder gern komme: zum Beispiel Barcelona oder Amsterdam. Aber wenn man mich fragt, in welcher ausländischen Stadt ich leben könnte - ich meine dauerhaft, für den Rest meines Lebens -, dann fällt meine Wahl zu gleichen Teilen auf Paris und New York. Nicht nur, weil es sich um zwei schöne Städte handelt: Um zu beschließen, daß eine Stadt der Ort sein soll, an dem ich einmal sterben werde, muß ich sicher sein, daß ich dort niemals Heimweh haben werde. Nun, und in diesen beiden Städten hat man nie Heimweh. Was sollte man dort auch vermissen, wo es doch alles gibt? Man fühlt sich im Zentrum der Welt, auch wenn man zu Hause bleibt. Und wenn man ausgeht, braucht man kein Ziel zu haben - man geht und geht und sieht immer etwas Neues.
    »New York, New York, what a beautiful town«, heißt es im Lied, »The Bronx is up and the Battery’s down!« New York ist dreckig und chaotisch, man kann sich nie darauf verlassen, daß die Bar oder das Restaurant, die einem letzte Woche so gut gefallen haben, noch da sind, weil inzwischen vielleicht das ganze Gebäude, der ganze Block abgerissen worden ist, man kann unversehens einen Messerstich abbekommen (allerdings nicht an jeder Ecke, das Schöne am Leben in New York ist, daß man sogar die Straßen kennt, in denen es schwer ist, einen Messerstich abzubekommen). Der Himmel kann von einem betörenden Blau sein, der Wind ist erregend, die Wolkenkratzer leuchten manchmal heller und erhabener als der Parthenon, und jedes neue Bauwerk, das zwischen ihnen entsteht, wird schön. Es ist, wie einmal jemand gesagt hat, als lebte man in einer steinernen Jam Session. Improvisation
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