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Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass

Titel: Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Autoren: Umberto Eco
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ebenso langsamen Auflösung des Osmanischen Reiches, die Kosten dafür werden noch heute im Vorderen Orient abbezahlt. Ich erkühne mich nicht, die Kosten für den Zerfall des britischen Kolonialreichs zu veranschlagen, aber zweifellos war die Vereinigung Italiens eine Folge des Zusammenbruchs des sehr kurzlebigen napoleonischen Imperiums.
    Aus dem Aufspringen des Deckels von dem wunderbaren Dampfkessel Österreich-Ungarn entstanden zumindest der Nazismus, der Zweite Weltkrieg und erneut die Lage auf dem Balkan (aber dort summiert sich die Geschichte des Falles von mindestens fünf Imperien: des römischen, des byzantinischen, des osmanischen, des kakanischen und des sowjetischen).
    Kurzum, wenn ein Reich zusammenbricht, dauern die Folgen Jahrhunderte. Nach dem Verschwinden des Sowjetimperiums braucht man die wichtigsten Folgen nicht lange zu suchen: die zänkische (wenn auch verständliche) Pulverisierung der Sprachen und Nationen im ganzen Osten, die ernsten Sorgen des wiedervereinigten Deutschlands, die Nöte der Armenier und Georgier, ja sogar die Nöte George Bushs, über dessen private Affären nur deshalb so viel geklatscht wird, weil er nicht mehr die Aufgabe hat, sich dem Reich des Bösen entgegenzustemmen. Aber auch die italienischen Wirren, die Krise der Sozialistischen Partei und der Exkommunisten und der Christdemokraten, der Bruch eines allgemein akzeptierten Paktes zwischen Macht und Mafia (seit der Landung in Sizilien 1943) und folglich das wütende Umsichschlagen oder die neue Internationalisierung einer Mafia, die nicht mehr von der ungestörten Rückendeckung durch eine Macht leben kann, der die Rechtfertigung des antikommunistischen Kampfes abhanden gekommen ist - alles, was gegenwärtig in diesem unseren unglückseligen Lande geschieht, hängt mit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches zusammen, genauso wie die Leiden des jungen Havel. Sogar die Lega Nord ist eine Blüte auf den Trümmern dieses Zusammenbruchs, ebenso wie die kroatische Ustascha, die serbischen Genozide und der slowenische Abfall.
    Es ist nicht so, daß der Preis geringer wird, wenn man weiß, was der Zusammenbruch eines Reiches kostet. Aber es ist gut, es zu wissen, um vorauszusehen, was auf uns zukommt. Nicht daß die Geschichte sich immer in gleicher Weise wiederholt, sie tritt auch nicht immer zuerst als Tragödie und dann als Farce auf. Manchmal wiederholt sie sich in immer neuen Formen von Tragödie. Aber es gibt einige Gesetze, einige Prinzipien von Aktion und Reaktion, deren Erkenntnis die Geschichtsforschung immer noch, und zwar in einem sehr wissenschaftlichen und nur sehr wenig rhetorischen Sinn, zur magistra vitae macht.
    1992
Hinrichtung live, zum Abendessen
    Ich bedauere sehr, daß die zuständigen Behörden nicht erlaubt haben, die jüngste Hinrichtung in den Vereinigten Staaten live im Fernsehen zu übertragen. Ja, ich finde sogar, man müßte die Exekution um 20.00 Uhr Ostküstenzeit vornehmen, damit gute Aussichten bestehen, daß man sie in New York beim Abendessen sieht, im Mittleren Westen (wo man sehr früh zu Abend ißt) bei einem Bier nach dem Essen und in Kalifornien, während man einen Daiquiri am Swimming-pool süffelt. Bei uns, wo um diese Zeit Nacht wäre, müßte man die Exekution in den Abendnachrichten des folgenden Tages übertragen.
    Daß die Leute bei Tisch sitzen, ist sehr wichtig: Das Knacken des brechenden Halses, die Zuckungen des Unterleibs oder die Beine, die nach dem Hängen noch eine Zeitlang strampeln, müssen mit der Tätigkeit des Hinunterschluckens der Speise auf seiten des Publikums interagieren. Wird die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl vollzogen, müßte man es so einrichten, daß der Verurteilte noch ein paar Sekunden lang schmort, womöglich während auf dem heimischen Herd die Eier in der Pfanne brutzeln. Beim Vergasen ist das Spektakel garantiert, denn dem Verurteilten ist vorher gesagt worden, er solle das Gas in einem Zug und möglichst tief einsaugen, was an sich schon sehr telegen ist, und dann sind da noch die Zuckungen. Von Injektionen ist abzuraten, denn dabei verpufft die ganze Schönheit der Liveübertragung und man könnte die Sache ebensogut bloß im Radio bringen.
    Ich verstehe, daß der Vorschlag unpopulär klingt, gerade jetzt, wo die italienische Disney-Company ihren Drehbuchautoren verboten hat, den Onkel Dagobert sagen zu lassen, er wolle seinen Neffen Donald erwürgen, da das eine Aufforderung zur Gewalt sei. Es ist gräßlich, daß aus Profitgründen Filme
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