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Der Zypressengarten

Der Zypressengarten

Titel: Der Zypressengarten
Autoren: Santa Montefiore
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musste sich voll und ganz auf Sylvia verlassen, die Sekretärin des Geschäftspartners, dass sie die meiste Arbeit für sie erledigte. Ihr war bewusst, dass Mr Atwoods Geduld aufs Übelste strapaziert wurde, aber da er ihrem Vater verpflichtet war, weil der ihm viele Klienten schickte, konnte er nicht viel tun.
    In Devon zu sein war per se schon öde. Wäre ihre Mutter nicht genötigt gewesen, ihr Londoner Haus zu verkaufen und nach Schottland zu ziehen, hätte Clementine jetzt einen viel spannenderen Job in Chelsea und würde ihre Abende mit Freunden im »Boujis« verbringen. Stattdessen hing sie in Devon fest, das sie schon wegen der unzähligen Sommerferien ihrer Kinderzeit hasste, in denen sie an kalte Strände gezerrt wurde und auf Felsen bibberte, während ihr Bruder und ihr Vater auf Krebsfang waren. Marina machte ihnen opulente Picknicks und wanderte mit Clementine den Strand ab, um Muscheln zu suchen, doch Clementine wollte nie ihre Hand nehmen. Aus Trotz nicht. Neben dem wunderschönen Geschöpf, das ihrem Vater das Herz raubte, hatte sie sich immer unzulänglich gefühlt. Sie bemerkte, wie seine Augen aufleuchteten, wenn er sie ansah, als hätte er einen Engel vor sich, und wie sich sein Blick wieder verdunkelte, wenn er Clementine sah, als würde sie stören. Sie zweifelte nicht an seiner Liebe; er liebte Marina eben nur mehr.
    Kurz vor der Stadt fiel Clementine etwas Schwarzes mitten auf der Straße auf. Zuerst dachte sie, es wäre ein altes Spielzeugboot, und fuhr langsamer. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppte sich das schwarze Etwas als Igel, der sehr gemächlich über die Straße kroch. Im Rückspiegel sah sie, dass mehrere Autos hinter ihr waren. Wenn sie nicht hielt, würde der Igel ohne Frage überfahren. Die Notlage des Tiers lenkte Clementine von sich selbst ab. Sie bremste abrupt, warf die Autotür auf und eilte dem Igel zu Hilfe. Der Mann im Wagen hinter ihr hupte wütend. Clementine beachtete ihn nicht und bückte sich, um den Igel zur Seite zu bugsieren. Leider war er sehr stachelig und voller Flöhe. Sie überlegte. Ein paar Autos kamen aus der entgegengesetzten Richtung, daher musste sie schnell eine Lösung finden. Hastig zog sie ihre Schuhe aus. Damit hob sie den Igel hoch und trug ihn zum Gras am Straßenrand. Es war niedlich, ihm zuzugucken, wie er in den Büschen verschwand. Bis sie wieder in ihr Auto stieg, hatte sich eine kleine Schlange vor und hinter ihr gebildet. Sie winkte den mürrisch dreinblickenden Fahrern.
    Es war weit nach zehn, bis sie, eine Entschuldigung murmelnd, ins Büro kam. Sylvia Helvin war eine lebhafte, geschiedene Rothaarige mit großen Brüsten, die nur knapp von ihrem engen grünen V-Ausschnittpullover und dem Seidenschal gehalten wurden. Sie legte eine Hand auf die Telefonmuschel und grinste breit. »Keine Panik, Süße, sie sind heute Morgen beide zu einem Meeting. Wir haben das Büro für uns. Sei so lieb und hol mir einen Latte.« Sie hob die scharlachroten Krallen wieder und lachte kehlig ins Telefon. »Uh, Freddie, du furchtbar ungezogener Junge! Benimm dich, oder ich muss dir wieder den Hintern versohlen.« Clementine trottete zum Black Bean Coffee Shop. Als sie zurückkam, war Sylvia immer noch am Telefon, hatte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter geklemmt und feilte nebenbei ihre Nägel. Clementine knallte ihr den Pappbecher hin und warf ihre Tasche auf den Boden. »Mieser Morgen?«, fragte Sylvia, während sie auflegte.
    »Submarine guckt sich Künstler an.«
    »Ah, der Hauskünstler. Sehr vornehm.«
    »Nein, das ist es ja gerade. Es ist ganz und gar nicht vornehm, sondern affig.«
    »Macht das was, solange er gut aussieht?«
    »Gut aussieht? Von wegen! Du hättest mal diesen Möchtegernpiraten sehen sollen, der bei Sonnenaufgang anrückte. Alt, müffelnd und eindeutig irre. Das Einzige, was fehlte, war sein Schiff.«
    Sylvia nippte mit gespitztem Mund an ihrem Latte, darauf bedacht, ihren Lippenstift nicht zu ruinieren. »Wenn du mich fragst, ist sie entweder mutig oder bekloppt, einen Fremden zu sich nach Hause einzuladen.«
    »Es ist kein Zuhause, sondern ein Hotel. Und genau das ist es ja: Den ganzen Tag latschen Fremde rein und raus. Schrecklich!«
    »Nein, ich meine wegen der Einbrüche. Sie nennen ihn jetzt schon Baffles, den Gentleman-Räuber. Er nimmt sich Hotels wie das von deinem Vater vor, auch größere Häuser. Hast du heute noch keine Zeitung gelesen?«
    »Ich lese die Dawcomb-Devlish Gazette nicht.«
    »Da verpasst du was.
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